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Missglückte Heimat

Beatrix Langner erzählt von der Einsamkeit eines Kindes in Westdeutschland. Als Flüchtlinge stigmatisiert, konnten die Eltern im Rheinland nicht Fuß fassen

Beatrix Langner: „Der Vorhang“. Matthes & Seitz, Berlin 2021, 190 Seiten, 17,99 Euro

Von Thomas Schaefer

Möglichen Fragen, inwieweit ihr später Debütroman autobiografisch ist beziehungsweise wie er möglicherweise im immer noch aktuellen Diskussionsrahmen um Autofiktion, Memoir, Personal Essay zu verorten sein könnte, nimmt Beatrix Langner den Wind aus den Segeln, indem sie via Untertitel ankündigt, sie werde „eine (beinahe) wahre Geschichte“ erzählen. Mit Geschichten, die der Wahrheit verpflichtet sind, hat die 1950 geborene Berliner Literaturkritikerin und -wissenschaftlerin bereits Erfahrungen gesammelt: als Biografin von Jean Paul, Chamisso sowie „Hölderlin und Diotima“. Auch hat sie ein gepriesenes Buch über Kröten geschrieben.

Wahr am Stoff ihres Romans ist dessen Rahmen. Wie ihre Ich-Erzählerin kam Langner in Berlin zur Welt, verbrachte die Kindheit ab 1953 im Rheinland, bevor die Eltern 1964 in die DDR zurückkehrten. Was die zweimaligen radikalen Wechsel von einem politischen System ins andere für ein Kind bedeuten, die eigentliche unerhörte Begebenheit, stellt Langner erstaunlicherweise nicht in den Mittelpunkt des Romans: Die Auswirkungen der Rückkehr in die DDR werden fast zur Gänze ausgespart, die Einsamkeit des Kindes im Westen wird erklärt.

Das Mädchen durfte nicht in den Kindergarten, die Eltern wurden als Flüchtlinge stigmatisiert und hatten wohl auch wenig Neigung, sich ins katholisch-dörfliche Milieu einzufügen. Mühsam versuchen die zu allem Überfluss auch noch unverheirateten Eltern, zumindest geschäftlich Fuß zu fassen, der Vater zunächst als Vertreter, die Mutter mit einem Kurzwarenladen, beide gemeinsam dann mit einem nicht sehr florierenden „Kleinen Kaufhaus“. Es sind Motive, die an Hans-Ulrich Treichels Berichte über eine Flüchtlingsfamilie im westfälischen Versmold erinnern.

Beatrix Langner aber will mehr und legt den Roman überaus komplex an. Den Rahmen gibt eine Konstellation der unmittelbaren Vergangenheit vor: Die Tochter hat ihre nach einem Schlaganfall zum Pflegefall gewordene Mutter bei sich aufgenommen und erzählt ihr nicht nur die Familien-, sondern auch deutsche Zeitgeschichte, was manchmal etwas boulevardesk ausfällt: „Die Angst geht um, die alte Angst vor dem Gespenst des Kommunismus, vor der roten Faust, die nach Europa greift“, heißt es beispielsweise über das Jahr 1945. Die Erinnerungen orientieren sich an zwei Reisen, welche die Erzählerin in die „missglückte Heimat“ gemacht hat: eine am Dreikönigstag 1989, die andere einige Jahre nach der Wende.

Da sie durch die damit verbundenen Rückblicke springt, ist es mühsam, sich in der privaten Chronologie zu orientieren – und diese dann auch noch zeitgeschichtlich einzuordnen. Als wäre das nicht genug, stellt Langner Analogien zu einem wesentlich größeren Kontext her: Der westdeutsche Romanschauplatz ist der Braunkohletagebau im Raum Nordeifel/Köln, dessen brutale Eingriffe in die Landschaft dem Roman nicht nur einen topografischen, sondern auch metaphorischen Hintergrund geben, den jedem Kapitel vorgeschaltete, sehr pathetische Passagen aufgreifen.

Darin geht es um nichts Geringeres als die Erdgeschichte, in die sich ein „vergessenes Kind, verschollen im Holozän“ mehr einfühlt als einordnet: „Wie tief muss man steigen, um sich selbst auf den Grund zu kommen“, fragt es programmatisch. Hier geht es um tiefere Bedeutung, um Erinnern, Vergessen, die Zeit schlechthin, das Erzählen: „Schreiben heißt zuerst sich selber lesen.“

Nun ja. Schließlich wird noch ein Bogen vom Holocaust im Rheinischen zu den Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst geschlagen. Ziemlich viel für einen Roman, in dessen ambitioniertem Setting die Figur der Erzählerin konturlos bleibt.

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