wortwechsel
: Der Zeitvertrag – eine schäbige Forschungsfalle

Mit der Aktion #Ich bin Hannaprotestieren Wissenschaftler:in­nen gegen ein Werbevideo des Bundesministeriums, das ihre prekäre Existenz zur „innovativen“ sozialen Pflicht verklärt

Kassel ist überall! Hier protestiert die Initiative „Uni Kassel unbefristet“ gegen die befristeten Arbeitsverträge der wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r:in­nen Foto: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

„Arbeitsbedingungen an Hochschulen: Sie wollen nicht mehr Hanna sein. Die Arbeit an Unis ist prekär. Um das zu ändern, braucht es für alle qualifizierten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Aussicht auf eine unbefristete Stelle“,

taz vom 17. 6. 21

„Sachgrundlos befristet“

Liebe Redaktion der taz, Ralf Pauli kritisiert in Ihrem Leitartikel, dass „die Bundesregierung die prekäre Arbeitssituation von Nach­wuchs­wis­sen­schaft­le­r:in­nen verbessern“ wollte, das Bundesbildungsministerium in seinem Video dies jedoch ganz anders darstelle. Ich fürchte, diese Einschätzung greift zu kurz. Es ist vielmehr so, dass in dem Video die Absicht des Gesetzgebers korrekt dargestellt wird. Dazu muss man allerdings etwas zurückschauen. Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) übernahm die Regelungen zur Befristung der Arbeitsverträge an Hochschulen und in wissenschaftlichen Einrichtungen aus dem Hochschulrahmengesetz (HRG). Dort wurden die Regelungen zur Befristung der Arbeitsverträge mit dem Gesetz vom 14. 6. 1985 eingefügt. In der Beschlussempfehlung heißt es: „Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen beschäftigen einen erheblichen Teil ihres wissenschaftlichen Personals auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge. In den letzten Jahren wird in Stellungnahmen der Hochschul- und Wissenschaftsorganisationen zunehmend eine Änderung rechtlicher Bedingungen in diesem Bereich verlangt. Begründet wird diese Forderung damit, dass das für die Befristung von Arbeitsplätzen geltende Recht den spezifischen Belangen von Wissenschaft und Forschung nicht hinreichend Rechnung trage. Daher sei eine Neuregelung erforderlich, die die unentbehrliche personelle Erneuerungsfähigkeit sichere, die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses fördere, vor allem auch die Chancen nachwachsender Altersgruppen wahre und der wachsenden Bedeutung der mit Mitteln Dritter finanzierten Forschung gerecht werde.“ Diese Zielsetzung greift das Video auf und kann sich damit auf die ausdrückliche Intention des Gesetzgebers berufen. Mit dem „Gesetz über arbeitsrechtliche Vorschriften zur Beschäftigungsförderung“ vom 26. 4. 1995 wurde die Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung des Arbeitsvertrages eingeführt, die vorgeblich zu einer Beseitigung oder Verminderung der Arbeitslosigkeit führen sollte. Beides entsprach der herrschenden neoliberalen Auffassung und bedarf dringend einer grundlegenden Änderung. Das erfordert allerdings nicht nur eine Überarbeitung der Außendarstellung des Ministeriums, sondern einen Politikwechsel.

Max Gussone, Hamburg

Die Beamtenblase

Liebe Redaktion, Ihre Analyse führt noch nicht weit genug. Zum einen war ein entscheidender Stein des Anstoßes beim jüngsten Aufschrei vieler Akademiker die erhebliche Doppelmoral im Bundesbildungsministerium, da hier vor allem bestens abgesicherte Beamte wie aus einer ziemlich abgehoben wirkenden Filterblase ohne jegliche Empathie prekäre Beschäftigungsverhältnisse für andere Menschen rechtfertigen. Zum anderen bleibt das durch die Politik maßgeblich mitgeförderte katastrophale Talentmanagement an vielen Hochschulen nicht nur ein soziales Problem, da die unfairen Befristungen ebenfalls einen nicht unerheblichen Brain Drain vieler kluger Köpfe in andere Länder zur Folge haben. Deshalb sollten die Grünen die große Bildungsmisere in Deutschland zu einem zentralen Wahlkampfthema machen, zumal jene in den sogenannten Zukunftsprogrammen von CDU/CSU und SPD nahezu komplett fehlt! Rasmus Ph. Helt, Hamburg

„Geht in die Wirtschaft!“

Die Alternative ist, höchstens noch ein Zehntel der jetzigen DoktorandInnen zur Promotion zuzulassen. Die Absolventen hätten dann bessere Chancen im Wissenschaftsbetrieb. Fly auf taz.de

@Fly Und wer steht dann im Labor für den Prof und macht die Wissenschaft? Der Mittelbau fehlt. Welcher Postdoc soll den Masterstudenten anleiten? Das macht nicht ein Professor, das macht #ichbinHanna. Redgreenblue auf taz.de

An was es mangelt, ist, dass die Leute nach ihrer Promotion nicht den Sprung in die Wirtschaft wagen (wollen) oder ihre Expertise auch in eine Selbstständigkeit umwandeln. Hier ein Sprungbrett zu basteln, hielte ich für sinnvoller. Meine Promotion liegt 25 Jahre zurück. Damals gab es neben drei Profs etwa sieben Festangestellte (zum Teil extern finanziert durch Bundeswehr oder Fraunhofer) plus zwei Zeitverträgler plus sieben Doktoranden. Die Lösung liegt auf der Hand: Raus aus der „Bequemlichkeit“ und Job außerhalb der Uni suchen.

Tom Farmer auf taz.de

Wären noch pro Prof fünf Mittelbauler da, könnten wenigstens diese das tun, was sie am besten können: Forschen.

Sven Jansson auf taz.de

„Absurde Projektitis“

Der Befristungsirrsinn hat mich veranlasst, meine Position als Abteilungsleiter in einem hochschulinternen Forschungsinstitut vorzeitig aufzugeben. Um jemanden zu beschäftigen, muss man Drittmittel und einen Befristungsgrund haben. Das Brötchen darf nicht serviert werden, wenn nicht daneben der Strick liegt, an dem man jemanden aufhängen kann, wenn das nächste Brötchen nicht rechtzeitig kommt. Diese absurde Projektitis ist nicht auf die Hochschulen beschränkt, sie durchzieht alle projektfinanzierten Bereiche von Sozial- und Bildungsdienstleistungen. Das Problem liegt im öffentlichen Haushaltsrecht sowie in der fehlenden Praxis betriebsbedingter Kündigungen und ihrer sozialen Flankierung. Niemand würde akzeptieren, dass eine Werft nur befristet einstellt, weil die Auftragsbücher immer nur für zwei Jahre gefüllt sind. Gleichzeitig ist akzeptiert, dass bei Ausbleiben der Aufträge Kündigungen ausgesprochen werden – mit Sozialplan und öffentlicher Förderung. Im öffentlichen Bereich ist man dagegen entweder lebenslänglich gesichert oder man geht immer wieder von Neuem auf einen Abgrund zu, in den man ohne Fallschirm gestoßen wird. Matthias Knuth, Hattingen