Berlin
lebt!

Das wird ein Sommer der Kultur: ein paar Appetit­häppchen aus Kunst, Musik und Clubleben

Ich bin ein taz-Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, was es bedeutet, ein blinder Text zu sein: Man macht

Auf der Kreuzberger Admiralbrücke, Fête de la Musique 2019 Foto: Karsten Thielker

Beim Wilde-Möhre-Festival in Brandenburg Foto: Paul Weisflog/imago

Skulptur beim Kunstfestival Rohkunstbau 2021 Foto: Jan Brockhaus/Freunde des Rohkunstbau e. V. Courtesy/Michael Müller, VG Bildkunst Bonn, 2021

Installation beim Kunstfestival Rohkunstbau 2021 in Brandenburg Foto: Jan Brockhaus /Freunde des Rohkunstbau e. V. Courtesy: Sammlung Archives Nationales Paris, Luzia Simons, VG Bildkunst Bonn, 2021

Kunst, Musik, Kultur in diesem Sommer: eine kleine Auswahl

Berlin Satt Kunst zu schauen gibt es an diesem Wochenende noch bis 20. Juni bei 48 Stunden Neukölln (48-stunden-neukoelln.de), und bei dem Projekt (re)connecting earth plädiert man für ein besseres Zusammenleben mit Stadttieren und -pflanzen; bespielt werden von der Gruppenausstellung die nächsten Wochen Straßen in Kreuzberg, ein Kleingarten in Charlottenburg und der Kunstraum Kurt-Kurt (reconnecting.earth, mehr dazu auf Seite 48). Bereits geöffnet hat auch der Kunstkiosk Tropez im Sommerbad Humboldt­hain, es gibt Pommes und Eis, Performances und eine Ausstellung. „Touché-moi“ heißt die in diesem Jahr (tropeztropez.de). In Sachen Musik gilt, dass die Fête de la Musique am 21. Juni auch in diesem Jahr noch prinzipiell eine Livestream-Angelegenheit ist. Das Auftaktkonzert am 20. Juni in den Gärten der Welt aber findet mit Publikum statt (www.fetedelamusique.de), wie auch die 21 Sunsets vom 15. Juli bis 15. August im Haus der Kulturen der Welt (www.hkw.de). Und die Emergent-Bass-Reihe im Mensch Meier in Prenzlauer Berg startet am 17. Juli (menschmeier.berlin).

Brandenburg Zur Rohkunstbau (bis 3. Oktober) geht es in den Spreewald nach 15868 Lieberose (www.rohkunstbau.net), und am 14. August startet die Endmoräne, bei der die ortsbezogene Kunst diesmal im Spanplattenwerk Beeskow präsentiert wird (endmoraene.de).

Sunsets am Wasser

Das Haus der Kulturen der Welt präsentiert mit „21 Sunsets“ in diesem Sommer wieder Konzerte, Filme und Literatur auf der Terrasse

Von Jens Uthoff

Wenn man zurückfuhr am späten Abend, durch die sich leerende Mitte dieser Stadt, vorbei an den letzten Nachttouristen und Fahrradtaxis, während das Thermometer immer noch mehr als 20 Plusgrade zeigte und der Asphalt die Hitze ausatmete, konnte einem der Song von The Lovin’Spoonful auf die Lippen kommen. „Hot town, summer in the city / back of my neck gettin’dirt and gritty / Been down, isn’t it a pity? / Doesn’t seem to be a shadow in the city“, sang die New Yorker Band in ihrem berühmten Lied, und tatsächlich fühlte sich das Leben plötzlich wieder leicht und luftig an. So war das, wenn man vergangenes Jahr ein Sommerkonzert der „20 Sunsets“ auf der Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt besucht hatte. Monatelang hatte Corona den Alltag bestimmt. Jetzt ging wieder was.

Dieses Jahr werden es, der Jahreszahl entsprechend, „21 Sunsets“ sein: Konzerte, Lesungen und Filme stehen auf dem Programm. Der Titel trifft den Vibe der Veranstaltungsreihe gut: Sonnenuntergänge waren immer ein Sehnsuchtsmotiv in der Popmusik. Man denke an „Sunset“ (1973) von Roxy Music oder „Waterloo Sunset“ (1967) von den Kinks: „As long as I gaze on Waterloo sunset / I am in paradise“. Und auch wenn man sich gegenüber dem Kanzleramt in Nachbarschaft des unwirtlichen Regierungsviertels nicht im Garten Eden wähnen mag, könnten die HKW-Sunsets auch dieses Jahr einigen Ballast von einem abfallen lassen. Das gute Leben könnte sein Comeback feiern.

Es wird auch ein Wiedersehen sein. Ein Ort, an dem die Kulturszene endlich wieder zusammenfinden kann. Das HKW räumt Gastkuratorinnen und -kuratoren Platz ein, damit deren Formate und Reihen wieder stattfinden können. Der Kiezsalon, eigentlich in der Musikbrauerei beheimatet, ist dabei, auch der Club ausland gestaltet einen Abend, ein weiterer wird vom Kollektiv Freak de l’Afrique bestritten. Insgesamt ist der Anteil an experimenteller Musik erfreulich hoch: Noise, Synthiekaskaden, Jazz und Frickelzeug werden zu hören sein, oder aber es wird Musik mit Nähmaschinen gemacht (das Nähmaschinenduett aus Berlin und München tritt am 31. Juli auf).

Ebenso erfreulich, dass viele Beteiligte darunter sind, die dem Berliner Popkosmos die Jahre über viel gegeben haben: Kerstin und Sandra Grether, Theresa Stroetges aka Golden Diskó Ship, Jens Friebe, Marta De Pascalis, Jeff Özdemir, Moritz Von Oswald und viele mehr. Das gehört durchaus zum Konzept der Veranstaltung: Die „Sunsets“ waren anstelle des Wassermusik-Festivals auch deshalb ins Leben gerufen worden, um der Berliner Musikszene Auftrittsmöglichkeiten während der Pandemie zu verschaffen.

Im Jahr 2020 ging das voll auf. Man saß auf Zweier- und Dreiersitzinseln, die Bühne und den Bogen der schwangeren Auster vor sich, die Spree im Rücken. Viele Gäste begannen irgendwann vor ihren Sitzen zu tanzen. Das Durchschnittsalter war dabei eher hoch, das Publikum nicht so international, wie man das von anderen Orten kennt. Da geht also noch was, international youth of Berlin!

An eine Sache werden sich allerdings auch alle erinnern, die dort waren: die endlos lange Getränke- und Essensschlange. Stellte man sich zu Beginn des Konzerts an, hatte man zur Zugabe seine Brezel und sein Bier in der Hand. Da ist also noch Luft nach oben. Luft nach oben war aber wohl auch der Grund dafür, warum die Atmosphäre so besonders war: Trotz der gewöhnungsbedürftigen Modalitäten (Sitzkonzert, Abstand) kam Festivalstimmung auf, der weite Blick von der Terrasse tat sein Übriges.

Das bewährte Konzept wird mehr oder weniger fortgesetzt: Lesungen finden donnerstags statt, wobei am Literaturprogramm noch geruckelt wird. Am späten Freitag- und Samstagabend sind Filme zu sehen, wobei das Arsenal, das für die Auswahl zuständig ist, ein politisches, internationales, hochwertiges Programm erstellt hat. Unter anderem zwei Filme von Philipp Scheffner: „The Halfmoon Files“ (2007) setzt sich mit Stimmaufzeichnungen aus dem sogenannten Halbmondlager in der Zeit des Ersten Weltkriegs auseinander (aus dem Lautarchiv der Humboldt-Universität), „Havarie“ (2016) richtet den Blick auf bewusst penetrante Art auf die Flüchtlingsboote im Mittelmeer.

Den Blick weiten. Anders sehen. Anders hören. Sich bewegen. Darum geht es in den „21 Sunsets“. Dinge, die wir nach den Einschränkungen und Verengungen der Coronakrise dringend nötig haben.

Rassismus und Clubkultur

Mit Veranstaltungen zu Rassismus in Clubs startet die Sommersaison im Mensch Meier

Von Andreas Hartmann

Vor ein paar Jahren gab der Detroiter DJ Jeff Mills, der lange in Berlin gelebt hat, im Magazin Borshch zu Protokoll, dass er hier mehrfach mit dem N-Wort bedacht worden sei. Und zwar nicht nur auf der Straße, sondern in den Clubs, von Leuten aus der Techno-Szene. Dabei gehört die Absage an jede Form von Rassismus eigentlich als 1. Gebot zum Katechismus der Berliner Clubkultur.

Wie rassistisch ist die Berliner Clubkultur? Dieser Frage will die interdisziplinäre Veranstaltungsreihe „Emergent Bass“ nachgehen, die ab dem 17. Juli im Club Mensch Meier stattfindet. Acht Tage und Nächte lang soll das Thema erörtert und nicht zuletzt auch ertanzt werden. Auf zwei Jahre Dauer ist „Emergent Bass“ angelegt, als Forschungsprojekt und Party­reihe gleichzeitig.

Afrodiasporische Musik, Rassismus, soziale Gerechtigkeit und was das mit der Berliner Clubkultur zu tun hat, wolle „Emergent Bass“ verhandeln, so Karoline Lucks, eine der Veranstalterinnen. Forschungen sollen eingebracht werden, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Betroffene teilnehmen. Queere, migrantisch geprägte und afrodiasporische Erzählungen sollen sichtbarer werden. Ganz schön ambitioniert.

Aber auch zwingend notwendig. Die Debatte um die „Weißwaschung“ der elektronischen Tanzmusik und DJ-Kultur schwelt schon seit Langem – vor allem in den USA. Jetzt kommt sie dorthin, wo sie auch hingehört: in die Welthauptstadt der Clubkultur.

Auch für Berlin ist die Debatte darüber, dass die afroamerikanischen und queeren Wurzeln der heutigen Dancemusik zunehmend marginalisiert werden, interessant. House entstand im Chicago der Achtziger in den Schwulenclubs, Techno wurde in Detroit erfunden, von ein paar afroamerikanischen Kraftwerk-Fans, die auch auf schwarzen Funk standen. In der heute kommerziell erfolgreichsten Form von Dancemusik, der EDM-Szene, wurde scheinbar völlig vergessen, wo sie eigentlich herkommt.

Und die Zeiten, in denen Schwarze DJs aus Detroit hier die großen Stars waren, sind auch weitgehend vorbei. Junge Raver wissen gar nicht mehr, dass es diese afroamerikanischen Szenepioniere aus den USA gab.

Bei „Emergent Bass“ werden sie mehr dazu erfahren können. Aber es werde nicht nur um Theorie gehen, versichert Lucks. Auch sehr viel passende Musik zum Thema soll es geben, das Erörterte auch „sinnlich erfahrbar“ sein. Denn „es werden auch Partys sein, auf denen die Leute tanzen sollen“.

Brandenburg auch!

Aufs Land: Zum Beispiel mit Yoko Ono zum Kunst- und Kulturfestival Rohkunstbau im Barockschloss Lieberose

Von Beate Scheder

Eigentlich muss man, um Kunst zu sehen, gar nicht raus aus Berlin; erst recht nicht jetzt, im Frühsommer 2021, wenn auf einmal wieder alles – oder zumindest vieles – wieder möglich scheint. Gerade in der Kunst: Am Wochenende holt das Gallery Weekend Berlin mit einem „Summer Special“ nach, was das Pandemiegeschehen bisher nicht erlaubt hatte. Das Kunstmagazin „Arts of the Working Class“ organisiert am Sonntag einen Markt für alle Sinne – „Souls for Foods“ – und auch das Kunstfestival 48 Stunden Neukölln findet wieder statt. Die Museen haben sowieso längst wieder geöffnet, nicht einmal einen Schnelltest braucht man mehr für den Besuch. Überall in der Stadt sprießt die Kunst wieder.

Dennoch spricht einiges dafür, die Hitze Berlins am Wochenende hinter sich zu lassen und den Kunstgenuss mit einer Spritztour ins Brandenburgische zu verbinden. Zum Beispiel in den Landkreis Dahme-Spreewald, wo am Samstag zum 26. Mal das allsommerliche Kunstfestival Rohkunstbau bis zum 3. Oktober jedes Wochenende ins Barockschloss Lieberose einlädt.

Die „internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst“ geht auf eine private Initiative des Augenarztes Arvid Boellert 1994 zurück und wurde damals nach dem ersten Austragungsort benannt, einer nie fertiggestellten Betonhalle in Groß Leuthen bei Lübben.

Mit Kunst verlassene Orte wiederzubeleben war Boellerts Idee, auch als das Festival später in diversen Herrenhäusern und Schlössern stattfand. In Schloss Lieberose, wo 2017 das erste Mal ein Rohkunstbau stattfand, will es jetzt dauerhaft bleiben. Im vergangenen Jahr fand der Rohkunstbau trotz Pandemie statt und holte sein 25. Jubiläum nach, das 2019 ausfallen musste, nachdem sich die Heinrich-Böll-Stiftung als Träger verabschiedet hatte.

Natur und Verletzlichkeit

Ganz im Zeichen der Pandemie steht das Motto der von Heike Fuhlbrügge kuratierten Schau in diesem Jahr: „Ich bin Natur – Von der Verletzlichkeit. Überleben in der Risikogesellschaft.“ Um tiefe existenzielle Unsicherheiten geht es: wenig erbaulich im ersten Moment. Umso vielversprechender liest sich die Liste der 22 ausgewählten Künstler*innen, die zum Teil extra für die Ausstellung Arbeiten konzipierten. Gilbert & George sind unter anderem vertreten, Yoko Ono, Phi­lippe Parreno, Laure Prouvost und Kapwani Kiwanga.

Und wenn man schon mal draußen in der Heide ist? Die Website der Veranstaltung empfiehlt, den Besuch der Ausstellung mit einer Wanderung über den acht Kilometer langen Wildnispfad oder quer durch den Sukzessionspark der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg zu verbinden. Auch dort gibt es eine Menge anzuschauen.

„Oh mein Gott, wird das toll!“

Sam Vance-Law tritt bei der Fête de la Musique in den Gärten der Welt auf. Die Coronazeit war für Künstler „brutal“, sagt der kanadische Popmusiker

Sam Vance-Law, 34, lebt seit vielen Jahren in Berlin. Der queere Künstler aus Kanada wurde 2018 mit seinem Album „Homotopia“ einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Zuletzt coverte er NDW-Songs wie „Eisbär“ (Sam Vance-Law: „NDW“, EP, Caroline Records).

Interview Jens Uthoff

taz: Sam Vance-Law, Sie stehen am Sonntag mit der Berliner Fusion-Band Make a Move auf der Bühne – live und vor Publikum in den Gärten der Welt. Prächtige Aussichten, oder?

Sam Vance-Law: Oh mein Gott, wird das toll sein, wieder live zu spielen. Mit Freunden, vor Zuhörerinnen und Zuhörern. All das, woraus die Träume eines Musikers gemacht sind und was einmal völlig normal schien. Möge zumindest diese Art der Normalität lange anhalten!

Wie haben Sie Ihren letzten Auftritt vor der Pandemie in Erinnerung?

Ganz ehrlich? Ich kann mich kaum daran erinnern.

Die Fête de la Musique ist eigentlich eine Feier der Straßenmusik. Nun müssen viele Auftritte immer noch digital stattfinden. Widerspricht das nicht dem Geist der Fête?

Es kann gut sein, dass es sich immer noch wie eine Verschnaufpause anfühlen wird. Aber wir haben eben immer noch eine weltweite Pandemie, das muss man auch sehen.

Wie haben Sie die Coronazeit ohne Einnahmen durch Gagen für Live-Auftritte überstanden?

Schwierig. Wie so viele habe ich Überbrückungshilfen vom Staat bekommen, und meine Eltern haben mir geholfen. Außerdem konnte ich Rechnungen stunden. Zum Glück schulde ich nur coolen Leuten Geld, die Verständnis haben. Aber alles in allem ist es wirklich brutal.

Können Sie etwas Positives aus dieser Zeit ziehen?

Ich mag es nicht, zwanghaft die gute Seite sehen zu müssen, besonders unter den gegenwärtigen Umständen. Es war eine Katastrophe, und in vielen Teilen der Welt ist es das immer noch.

Corona hat die Musikszene hart getroffen, es gibt es immer noch keine Perspektive für Großveranstaltungen, obwohl Konzepte auf dem Tisch liegen. Was würden Sie sich vonseiten der Politik wünschen?

Macht Veranstaltungen so sicher wie möglich! Und unterstützt uns, so gut es geht! Die Kulturszene wird noch eine Weile leiden, es wird kaum möglich sein, seinen Lebensunterhalt als Künstler zu bestreiten. Wir werden weiter Unterstützung brauchen, ob das Musiker, Locations oder Techniker sind. Es geht dabei nicht um viel Geld, wir alle sind es gewohnt unter prekären Bedingungen zu leben und zu arbeiten, auch in guten Zeiten. Der Bund und auch das Land Berlin haben uns bislang vergleichsweise gut unterstützt, wenn es auch manchmal etwas planlos schien. Wenn das in Zukunft noch ein bisschen besser wird, können wir die Berliner Musikszene erhalten.

Worauf freuen Sie sich am meisten in diesem Sommer?

Ich freue mich, wieder Musik mit anderen Menschen zusammen zu machen. Gemeinsam Veranstaltungen zu besuchen und völlig legal länger als bis 22 Uhr draußen zu bleiben. Und ich hoffe, dass sich meine finanzielle Situation etwas entspannt.