Schily entdeckt die offene Gesellschaft

Der Bundesinnenminister rechnet mit den sicherheitspolitischen Forderungen der Opposition ab und betont, Deutschland sei gegen den islamistischen Terrorismus „hervorragend aufgestellt“. Heute Sondergipfel der Innenminister in Brüssel

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Wer sich von Otto Schilys Auftritt gestern in Berlin Aufklärung erhofft hatte, welche Maßnahmen zur Terrorabwehr Deutschland nach den Anschlägen in London ins Auge fasst, wurde enttäuscht. Der Bundesinnenminister nutzte die Pressekonferenz zu „aktuellen sicherheitspolitischen Fragen“ für eine Generalabrechnung mit der Opposition und eine Leistungsbilanz seiner „Regierungszeit“. Er betonte, „dass Deutschland gegen den islamistischen Terrorismus hervorragend aufgestellt ist“.

Die sicherheitspolitischen Forderungen im Wahlprogramm der CDU verwarf Schily Punkt für Punkt mit dem Hinweis, sie seien blinder Aktionismus, gemeinsam mit der FDP nicht durchsetzbar oder – wie das gemeinsame Terrorabwehrzentrum von Polizei und Sicherheitsdiensten – längst verwirklicht. In seinem Bemühen, den eigenen Standort gegen Beckstein & Co abzugrenzen, rückte Schily in lange vernachlässigte Sphären linksliberaler Politik vor: „Wir halten es nicht für richtig, dass angesichts der Ereignisse von London die Gesellschaft in Hektik und Hysterie verfällt.“ Die Forderung der Union, künftig grundgesetzliche Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr im Innern zu schaffen, wies Schily ebenfalls klarer als früher zurück: „Damit schaffen wir in Deutschland den permanenten Ausnahmezustand. Die falsche Antwort auf die Bedrohung ist die Militarisierung der Gesellschaft.“

Wenn die Union nun fordere, dass Polizei und Nachrichtendienste gegenseitig Zugriff auf ihre Dateien haben sollten, zeuge das „nicht von sicherheitspolitischem Sachverstand“. Kein ausländischer Nachrichtendienst würde mit deutschen BND-Kollegen zusammenarbeiten, wenn er fürchten müsse, dass seine Informationen bei der Polizei landen. Schily will hingegen eine Indexkartei, die keine Ermittlungsergebnisse enthält, sondern nur Auskunft gibt, ob über einen Sachverhalt oder eine Person bei anderen Diensten Erkenntnisse vorliegen.

Auf europäischer Ebene will der Innenminister erreichen, dass die Einreise- und Visa-Dateien Eurodac und SIS, die bislang im Kampf gegen illegale Einwanderung und Asylmissbrauch eingesetzt werden, künftig auch von polizeilichen Ermittlern genutzt werden können. Die EU-Kommission lehnt das bisher ab. Für Europol, das bislang nur Daten der Mitgliedsstaaten auswertet und als Informationsknoten fungiert, könnte sich Schily eigene Ermittlungsbefugnisse vorstellen.

Beim Sondergipfel der Innenminister heute in Brüssel wird auch die deutsche Forderung nach längerer Speicherung von Handy-Telefonrechnungen und E-Mails wieder auf der Tagesordnung stehen. Bislang dürfen derartige Daten in Deutschland 90 Tage aufbewahrt werden. Schily und Justizministerin Zypris wollen die Frist auf ein Jahr verlängern. Der britische Innenminister Charles Clarke will die Telefon- und Internetbetreiber sogar verpflichten, die Daten bis zu drei Jahre aufzubewahren.

Sowohl der Bundestag als auch das Europaparlament hatten die so genannte Vorratsdatenspeicherung in diesem Jahr mehrheitlich abgelehnt. Gegner kritisieren, dass eine solche Datenflut rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht, die Unternehmen enorm belastet und keine besseren Erkenntnisse garantiert, da die Ermittler in den unsortierten Datenbergen die Stecknadel im Heuhaufen suchen müssten. Der Verband der deutschen Internetwirtschaft, eco, hält den Plan der Innenminister für existenzgefährdend. Um die Auflage zu erfüllen, müssten die Betriebe ihre Speicherkapazität um den Faktor tausend erhöhen. Das würde kleine Provider in den Ruin treiben. Das Europaparlament hatte Anfang Juni gefordert, statt immer mehr Daten zu sammeln, die vorhandenen Informationen besser zu nutzen. Zudem müsse der Datenschutz ausgebaut werden, um den Einzelnen vor der Willkür der staatlichen Informationssammler zu schützen.