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: Jetzt aber! Galleryweekend, selbst gemacht

Jeder Abend mit offenen Restaurants und Bars ist ein Geschenk nach diesem Lockdown. Wir haben Hunger nach sozialem Austausch, danach zu tanzen, uns in die Arme zu fallen, zusammenzuprallen, ein Lächeln zu erwidern, sichtbar. In uns sitzt aber noch ein anderes Gefühl, das auf subtile Weise ein Loch gebohrt hat: der Hunger nach Kunst, nur scheinbar durch Online-Kultur gestillt. Endlich können wir wieder eintauchen, uns an visuellen, auditiven und intellektuellen Eindrücken vollfressen. Genau das hatten wir vor und so organisierten wir unser eigenes kleines Gallery Weekend: ein Schnelltest, vier Lieblingsgalerien, los geht’s!

Leicht verkatert treffen wir uns am Palais Populaire Unter den Linden, der Galerie der Deutschen Bank. Sie inkorporiert systemkritische Kunst auf die feinste kapitalistische Weise, makellos kuratiert, leicht zugänglich, ästhetisch subversiv, sozial relevant. Ich habe oft versucht, hier nie wieder hinzugehen, aber das Angebot lockt mich immer wieder: bankenkritische Konzeptkunst aus Polen, Einstürzende Neubauten mit Virtual-Reality-Theater oder diesmal Marc Brandenburg, ein multimedial begabter Künstler, der sein Leben in Berlin sowohl aus der Sicht des Kollektivs als auch aus der persönlichen Sicht als schwule Person of Color reflektiert.

Brandenburg gibt uns, was wir vermissten: hyperrealistische Bleistiftporträts seiner FreundInnen, ein in Weißlicht getauchter Raum voller Fotos, der ein visuelles Tagebuch Berlins bildet, und drei Videoarbeiten mit Menschen in gestrickten Masken, die die Stereotype von Hautfarben auf simple, humorvolle und ernste Weise ad absurdum führen.

Draußen regnet es. Euphorisiert rennen wir zum Bus und stolpern tropfend in die DAAD-Galerie auf der Oranienstraße. In einer wabernden, düsteren Video- und Soundinstallation verarbeitet die Jazzmusikerin und Künstlerin Matana Roberts die jüngsten Entwicklungen in den USA und bringt sie durch ein eigenes Zitat auf der hinteren Wand in einen historischen Kontext, sodass keine Fragen übrig bleiben: „The American system is broken they say, but I say the system is actually working as originally set … A nation founded on stolen land, labored by a stolen and decimated peoples. What really did the founders expect?“

In vollem Einverständnis und mit flirrendem Blick machen wir uns auf zur ngbk-Galerie ein paar Hausnummern entfernt. Unter dem Titel „Museo de la Democracia“ nehmen hier zahlreiche lateinamerikanische KünstlerInnen den politischen Zustand ihrer Gesellschaften, den Kolonialismus und seine Monumente und die Diskriminierung indigener Communitys auseinander und geben das oft hohle Wort „Demokratie“ seiner Musealität preis.

Dankbar und müde schlurfen wir zur Kottbusser Straße, ins Künstlerhaus Bethanien. Weil wir länger gebraucht haben als geplant, haben wir unser Zeitfenster verpasst und überlegen, ob wir überhaupt noch genug Energie haben.

Zum Glück ging das Buchen schnell, denn schon nach zwei Schritten in die Galerie hinein weicht die Erschöpfung der Begeisterung über so viel Farbe und Inspiration: eine Videoarbeit mit psychedelisch glücklicher Musik, bunte Tücher, die schöner und freier sind als jede Nationalflagge, ein digital gezeichnetes Pandemie­tage­buch und ein großer Raum voll mit schablonierten Papierporträts kubanischer RevolutionskämpferInnen.

Erleichtert kommen wir in der Ankerklause am Maybachufer an. Obwohl so ein Rundgang nach so einer Nacht an den Kräften zehrt, sind wir innerlich voller Energie, denn wir sind gesättigt von ästhetischen Reizen, Einblicken in fremde Wahrnehmungen und neue Gesellschaftskritiken. So lassen wir uns nieder, zeigen unsere Tests und teilen über Pommes und Cidre die frischen Eindrücke. Zora Schiffer