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Wolf-Dieter Vogel Latin Affairs#poderprieto, der Aufschrei in Mexiko gegen Rassismus

Es gibt keine Rassen. María Teresa Juárez betont das gleich mehrmals. Nur das Melanin bestimme über unsere Hautfarbe, schreibt die Kolumnistin auf der mexikanischen Onlineplattform Pié de Página (https://piedepagina.mx/). „Es gibt verschiedene Erscheinungsbilder und kulturelle Gruppen, mit mehr oder weniger Melanin. Punkt.“ Die Aussage erscheint selbstverständlich. Und doch muss sie in einem Land, das tief von Rassismen geprägt ist, immer wieder wiederholt werden.

Der Hintergrund von Juárez’Kolumne ist eine Kampagne, mit der in den vergangenen Wochen einige mexikanische Schauspielerinnen und Schauspieler gegen Diskriminierung und rassistische Ressentiments in ihrem Metier angetreten sind. „Meine Haut respektiert man, meine Haut schwitzt, meine Haut klingt, bei meiner Haut gibt es keine Zweifel, meine Haut liebt, meine Haut ist purer Geschmack“, schrieben sie unter #poderprieto in sozialen Medien – und nach ihnen Tausende von Mestizen, also Menschen, die einer Mischung von indigenen und weißen Vorfahren entstammen. Unterstützt werden sie von dem antirassistischen Projekt racismo mx (https://racismo.mx/)

Allein schon der Hashtag sorgte für Diskussionen. Schließlich geht es um die poder – Kraft, Macht – der „prietos“, ein Begriff, der rassistisch konnotiert die „Dunkelhäutigen“ meint. Eine subversive Aneignung, wie sie auch in andere Sprachen und Ländern stattfindet. Vor allem aber wurde kritisiert, #poderprieto provoziere „umgekehrten Rassismus“. Ein Vorwurf, den der Schauspieler Tenoch Huerta zu Recht zurückweist. Die Kampagne richte sich nicht gegen Weiße, sagte er und bat diese mit Blick auf seine Mitstreitenden: „Seid ruhig und lasst sie kämpfen.“

Huerta, einer der Hauptakteure der Aktion, erinnerte daran, dass nur 3 Prozent der Protagonisten im mexikanischen Fernsehen dunkelhäutig seien, obwohl sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung als Morenos, Dunkelhäutige, ansehen würden. Nicht viel anders sieht es im Kino aus. Bezeichnend sind die Rollen, die „prie­tos“ gemeinhin spielen: Hausangestellte, Kriminelle, Bauern, Arme.

Damit reproduziert die Filmindustrie die gesellschaftliche Rolle, die der dunkelhäutigen Bevölkerung weiterhin strukturell zugewiesen wird. „Die Menge des Melanins und ein paar weitere körperliche Eigenschaften legen unseren Zugang zu Bildung, Arbeit und Lebensqualität fest“, schreibt María Teresa Juárez. Die ­Hierarchie ist nicht nur nach oben eindeutig festgelegt. Wer nur eine indigene Sprache spricht oder anders zu erkennen gibt, dass er oder sie aus einer indigenen Gemeinde stammt, hat noch weniger Chancen.

Umso beeindruckender ist die Karriere der Mixteca Yalitza Aparicio, die mit ihrer Rolle in dem Film „Roma“ Weltkarriere gemacht hat. Wenig verwunderlich, dass Aparicio dort sehr überzeugend eine Hausangestellte spielt. Auch sie wirbt für #poderprieto: „Wir sind viele und stolz auf unsere Hautfarbe“, schreibt sie.

Lange bevor #poderprieto und racismo.mx jetzt das Thema ansprechen, haben es die zapatistischen Rebellinnen und Rebellen mit ihrem Aufstand in den 1990er Jahren auf die Tagesordnung gesetzt. Bis heute wehren sie und andere indigene Gemeinden sich gegen ein gesellschaftliches Konzept, das für sie nur gesellschaftlichen Ausschluss oder bestenfalls folkloristische Assimilation vorsieht. Dieses Konzept entsprang der mexikanischen Revolution. Einer der Theoretiker war José Vasconcelos, der im Mestizentum eine „Kosmische Rasse“ sah, eine perfekte Mischung aus Elementen aus Europa, Asien und Afrika, die in Lateinamerika heranwachse.

Eine skurrile These, die auf Rassentheorien basierte und deren Urheber naheliegenderweise große Sympathien für die Nazis hegte. Doch diese Politik konnte noch nicht einmal die Mestizen vor Diskriminierung schützen. Im Gegenteil, bis heute besetzen vor allem weiße Mexikaner die wichtigsten Posten im Land. Nicht nur im Film. Grund genug für die „prietos“, auf die Barrikaden zu gehen.

Der Autor ist Korrespondent der taz in Mexiko-Stadt

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