Ich bin dann mal dran

DAUERPRÄSENT Wie sich bei onlineaffinen Menschen Unmut über die ständige Erreichbarkeit breitmacht – oder eben nicht

■ Das sagt die Politik: Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) startete die Debatte Mitte Juni: Sie forderte eine deutliche Trennung von Arbeit und Freizeit – und forderte klare Regeln in Betrieben für die Erreichbarkeit per Smartphone und E-Mail. Wenig später legte Kabinettskollegin Kristina Schröder (CDU) nach und forderte einen tatsächlich arbeitsfreien Sonntag.

■ Das sagen Studien: 88 Prozent der Berufstätigen sind in ihrer Freizeit über Handy oder Mail erreichbar, das fand der Internetverband Bitkom heraus. Laut einer Krankenkassen-Studie checken 20 Prozent aller Beschäftigten 30 Minuten vorm Schlafengehen Arbeitsmails. Eine Umfrage des Bürodienstleisters Regus ergab: 49 Prozent der Beschäftigten wollen auch im Urlaub arbeiten.

PROTOKOLLE: MEIKE LAAFF

Kein Smartphone beim Essen

Für mich ist das Smartphone eine absolute Erleichterung, gerade wenn es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht. Nicht die Arbeitszeit ist das Problem, sondern die Gebundenheit an einem Ort zu einer festen Zeit. Mit Smartphone bin ich flexibler: Ich weiß, dass ich nichts Wichtiges verpasse. Ich hasse unproduktives Warten wie an Haltestellen oder in Supermarktschlangen. Mit meinem Smartphone nutze ich diese Zeit sinnvoll, erarbeite mir Freiräume, die ich später privat nutze.

Die Idee, die Erreichbarkeit von Arbeitnehmern gesetzlich zu regeln, finde ich absurd. Das ist ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit und in die der MitarbeiterInnen. Eine gesetzliche Regelung macht nur dann Sinn, wenn sie durchsetzbar ist.

Es gibt aber auch die andere Seite. Als ich noch bei Unternehmensberatungen arbeitete, habe ich irgendwann unbezahlten Urlaub genommen, weil ich es wirklich nötig hatte. Da stand ich in Venezuela zwischen Tafelbergen und habe verzweifelt versucht, Handyempfang zu bekommen. Nach ein paar Tagen war ich nur noch erleichtert: Ich war einfach nicht erreichbar. Drei Wochen lang. Danach warf man mir in der Firma genau das vor. Dabei ist kein Erdbeben passiert, es war einfach normaler Betrieb. Später bei Microsoft hat meine Chefin vor ihrem Urlaub eine Mail an uns geschickt, dass sie weder Handy noch Laptop mitnimmt – wir würden sicher gut auch mal ohne sie auskommen. Die Signalwirkung, wenn Vorgesetzte das machen, kann man gar nicht überschätzen.

Inzwischen bin ich selbstständig, habe zwei Unternehmen gegründet, in denen ich meinen beiden Leidenschaften nachgehe, Open Government und Abbau von Barrieren für Frauen im Management. Für mich eine Befreiung: Beides habe ich früher als Hobby gemacht – zusätzlich zu 60-Stunden-Wochen. Keine Ahnung, wie viel ich jetzt arbeite.

Feste Internet- und smartphonefreie Zeiten für die Familie brauche ich nicht, weil ich meist zu Hause arbeite und nicht dauernd am Handy hänge. Aber beim Essen gibt’s bei uns kein Smartphone – für niemanden. Offline bin ich auf der Bahnfahrt von meinem Wohnort nach Berlin, notgedrungen – eine Stunde lang. Das genieße ich inzwischen, stricke oder lese Zeitung.

Als Angestellte landete ich zweimal mit Burn-out im Krankenhaus. Das hatte nichts mit Social-Media-Nutzung zu tun, sondern mit zu viel Arbeit und zu wenig Freizeit. Social Media ist nur ein Tool. Es sagt ja auch keiner, der Füller ist daran schuld, dass man so viel schreibt.

■ Anke Domscheit-Berg, Unternehmerin, arbeitete früher bei Unternehmensberatungen wie McKinsey oder Microsoft

Der erste Blick aufs Handy

Okay, letztes Wochenende war ich auf einem Festival, da habe ich irgendwann gedacht, es wäre nicht schlecht, wenn es da kein UMTS gegeben hätte. Dann hätte ich ein paar Stunden einfach so ungestört durchtanzen können.

Mein Smartphone ist immer an. Ich bin gestresster, wenn ich kein Netz habe – in der Bahn zum Beispiel. Bei mir läuft das eh immer nebenbei. Das war schon immer so, früher war ich ein totaler Nachrichtenjunkie. Jetzt habe ich eben das Internet. Klar checke ich auch nachts Mails, wenn ich nicht schlafen kann. Ich gehe auch abends um 22 Uhr ans Telefon, wenn mich ein Journalist anruft. Morgens geht der erste Blick aufs Handy, lange vorm Kaffeekochen, abends der letzte.

Ich meine, das Internet durchzufiltern ist ja auch mein Job. Bei mir verschwimmen Freizeit und Arbeitsleben immer mehr. Darum würde eine starre Regelung der Erreichbarkeit bei mir wenig bringen.

Ich versuche, im Urlaub nicht erreichbar zu sein. Das halte ich aber meistens nur eine Woche lang durch, dann habe ich alle Bücher gelesen und mir wird langweilig. Das Internet ist doch heute alles in einem: Fernsehen, Radio, dort kommuniziere ich, lenke mich ab.

Ich kann mir schon vorstellen, dass es so etwas wie Social-Media-Burn-out gibt. Ich kann mir auch vorstellen, dass auch ich in zehn, zwanzig Jahren das Gefühl bekomme, mehr Ruhepausen zu benötigen. Aber wenn ich jetzt in mich reinhöre, dann ist da nichts – kein Stress.

■ Markus Beckedahl, Berufsblogger bei netzpolitik.org

Der Terrorist in meinem Bett

Mein letzter Blick am Abend gilt meiner Frau und meinen Kindern. Aber als Vorletztes schaue ich auf den „Terroristen“, wie meine Frau ihn nennt: auf mein Smartphone. Damit ich vorbereitet bin. Denn als Pressesprecher habe ich keine festen Arbeitszeiten. Wenn die Leute in Deutschland aufhören zu arbeiten, fangen die Google-Kollegen in den USA gerade erst an. Anfragen von Journalisten bekomme ich oft, wenn in der Zentrale etwas passiert ist – und hier offiziell schon Feierabend. Oder mein Telefon klingelt frühmorgens und ich werde nach Dingen gefragt, die erst über Nacht aufgepoppt sind. Da muss ich natürlich vorbereitet sein.

Daran muss man sich erst gewöhnen. Aber ich mache das gerne, ich mag meinen Job. Es gibt natürlich Uhrzeiten, zu denen ich nicht mehr auf Anrufe reagieren. Etwa ab 21 Uhr abends. Außer von meinen Boss oder auf ganz wichtige Anrufe aus den USA – mit denen telefoniere ich notfalls nachts um halb drei.

Wir haben bei Google viel über Work-Life-Balance geredet und uns darauf geeinigt: Offiziell muss niemand am Wochenende seine Mails lesen; wenn es absolut wichtig ist, muss man halt anrufen. Allerdings checke ich sie auch Samstag und Sonntag – weil ich sonst eben doch das Gefühl habe, etwas zu verpassen. Dafür versuche ich im Urlaub, wirklich nur ein Mal morgens und abends in die Mails zu gucken. Oft ist das aber auch selbst gemachter Stress, mit etwas Zeitabstand sind viele Mails gar nicht mehr so wichtig, wie sie sofort nach dem Versenden erschienen wären. Aber in meinem Job verändert sich eben vieles sehr schnell – manchmal komme ich mir vor wie bei Tchibo: jede Woche eine neue Welt.

Auf Einladung eines Kollegen von der Techniker-Krankenkasse war ich Anfang des Jahres bei einem Workshop zum Thema Social-Media-Burnout. Dafür habe ich mich zu dem Thema schlau gemacht – auch wenn ich selbst überhaupt keine „Social Müdia“ verspüre, im Gegenteil. Aber natürlich kann man einen Social-Media-Burnout erleben. Ob es sinnvoll ist, die Erreichbarkeit von Arbeitnehmern gesetzlich zu regeln? Da muss jeder seinen eigenen Weg finden. Von oben verordnen kann man das nicht.

Ich finde, dass ein Gespräch mit echten Freunden im echten Leben durch nichts zu ersetzen ist. Wenn man zum Beispiel essen geht, finde ich es eine Unsitte, ständig auf sein Handy zu starren. Zwei Stunden muss man das auch weglegen können. Das wird natürlich immer schwieriger – aber es ist wichtig, dass man sich solche Freiräume schafft.

■ Stefan Keuchel, Pressesprecher Google Deutschland

Push-Funktion ausgestellt

Abends vorm Schlafengehen noch Mails checken? Das mache ich fast nie. Nach 20 Uhr bekomme ich in der Regel keine wichtigen beruflichen Nachrichten mehr. Auch am Wochenende oder im Urlaub bin ich da restriktiv, schaue nicht in meinen beruflichen Account. Aber natürlich reagiere ich auf Anrufe oder SMS von Kollegen oder Kunden. Das ist bei uns in der Firma der unausgesprochene Deal.

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sich da zu disziplinieren. Sich Gedanken darüber zu machen, ob man sich von der Technik durch den Tag treiben lässt. Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Ich habe zum Beispiel die Push-Funktion an meinem Smartphone, die mich ständig auf neue Mails aufmerksam macht, ausgeschaltet. Ein kleiner Unterschied – aber ich entscheide selbst, wann ich in die Mailbox schaue. Und wenn der seltene Fall eintrifft, dass ein Kunde mich anruft, während ich im Biergarten sitze, gehe ich auch einfach mal nicht dran.

Klar melden sich auch am Wochenende Kunden bei mir. Bei zeitkritischen Projekten zum Beispiel oder bei Anzeigengruppen, die nur Samstag und Sonntag geschaltet sind. Aber das weiß ich in der Regel vorher. Für meine Arbeit erlauben mir mobile Kommunikationsmöglichkeiten viele Freiheiten. Oft muss man am Wochenende ja nur Kleinigkeiten erledigen – da ist das Smartphone eine echte Erleichterung.

■ Albrecht Mangler, Online-Marketing-Spezialist bei der SocialMedia-Marketing-Agentur bilandia-media.de