Das perlt jetzt aber

Dittsche goes open air – dahin, wo er herkommen könnte: Zwei Sommerkinos laden auf die Elbinsel nach Wilhelmsburg

Fans werden vier alte „Dittsche“-Folgen als Oase in der Wüste erscheinen – zumal auf großer Leinwand

von Tim Gallwitz

Wilhelmsburg, der Stadtteil auf der Elbinsel, verrufen als sozialer Brennpunkt und Hochburg von Schill-Wählern, verklärt als das kommende In-Viertel, sollten Kreative, Künstler und Konsumenten dereinst mal über die Elbe gesprungen sein. Dieses mit kulturellen Veranstaltungen nicht eben reich beschenkte Quartier wartet nun gleich mit zwei Open-Air-Kinos auf, hervorgegangen aus den Filmwochen am Wilhelmsburger Fährstieg im vergangenen Jahr. Mit unterschiedlichen Konzepten bespielen das Neue Cinema Paradiso und Kai 05 – Kino auf der Insel in diesem Sommer getrennt ihren Stadtteil.

Das Neue Cinema Paradiso zeigt an den Wochenenden bis Mitte August an wechselnden Plätzen sein Programm, unter anderem am Spreehafen, Stübenplatz, Kirchdorf-Süd und dem Badestrand Finkenriek. Dort schleppt sich an diesem Samstag Johnny Depp in Jim Jarmuschs morbidem Psychedelic-Western Dead Man über die Leinwand, für den Sonntag ist dann ein Überraschungsfilm angezeigt, der angesichts der mit einigen Zaunpfählen winkenden Inhaltsangabe aber unschwer als der Hamburger Jungsfilm Absolute Giganten von Sebastian Schipper zu identifizieren ist.

Kai 05 hat ein festes Domizil auf dem Gelände des Wilhelmsburger Ruder Clubs am Vogelhüttendeich 120 gefunden, auf einer Wiese zwischen Kleingärten und Kanal. Am heutigen Donnerstag startet mit Fatih Akins Crossing the Bridge das Programm, das mit allabendlichen Vorstellungen bis zum 14. August terminiert ist.

Im Eröffnungsfilm überquert Akin die berühmte Bogazici Köprüsü, die Brücke über den Bosporus, die Europa mit Asien verbindet. Er begleitet den Bassisten der Einstürzenden Neubauten, Alexander Hacke, auf dem verschlungenen Weg durch das musizierende Istanbul. Die quirlige Metropole ist ein unerschöpflicher Quell von Tönen, Geräuschen und Musiken. Da sind die Festplatten des Soundsammlers Hacke bald voll. Ausgerüstet mit einem mobilen Aufnahmestudio und etlichem Speicherplatz tankt der sich durch die Szenen, ganz gleich, ob es rappt, breakdancet oder rockt – Hacke ist dabei. Und zwischen HipHop und Psychedelic, Folk, Sufi-Clubsound oder klassischer orientalischer Salonmusik picken Akin und Hacke beiläufig und wunderbar nonchalant auch mal Fragen auf, wie östlich oder westlich Istanbul sei oder wie es mit dem EU-Beitritt geht und steht.

Heimlicher Höhepunkt der Veranstaltung ist „das wirklich wahre Leben“, so wie es Olli Dittrich alias Dittsche in seinem Stammimbiss am Eppendorfer Weg sieht: Fritten, Fußball, Formel 1 und warum Merkel die Wahl doch noch verliert – Fragen, die bewegen, bringt Dittsche auf den Tresen. Und wir fragen, warum Dittsche eigentlich unentwegt aus langen grünen Flaschen und nicht aus den billigeren, bauchigen, braunen trinkt. Unlängst war der Markenname ja geschwärzt, die ARD scheint nix mehr anbrennen lassen zu wollen, was nach Schleichwerbung oder Product-Placement müffelt.

Der Mann in Trainingshose, Bademantel und Schumiletten jedenfalls hat mittlerweile eine treue Fangemeinde, es ins Feuilleton geschafft und nächstes Jahr gewiss den Grimme-Preis: eine bemerkenswerte Karriere für solch ein kleines Impro-Comedy-Format aus dem 3. TV-Programm. White Trash im Fernsehen und nicht davor: Der soziologische Modebegriff und Werbers Albtraum „Unterschichtenfernsehen“ mal anders und von hinten aufgezäumt. Nach all den Rating-, Voting- und Ausbims-Shows à la Deutschland sucht den Superstar, -boss, -bachelor etc. suchte und fand die Republik ihren – den Hartz-IV-Empfänger. Auch arbeitslose Vierzigjährige haben Ferien, und so macht Dittsche derzeit Sommerpause. Wie man hört, befindet er sich im Aufbautraining für seine Einwechslung nächste Saison beim HSV und geht überdies demnächst auf musikalische Tournee. Angesichts der Dittsche-freien Zeit wird seinen Anhängern die Vorführung von vier alten Folgen wie eine Oase in der Wüste erscheinen, zumal ihr Liebling, Ingo und Schildkröte erstmals auf großer Leinwand (10 x 6 Meter) zu sehen sein werden. Das perlt jetzt aber richtig!

Neues Cinema Paradiso, Badestrand Finkenriek: 16.7. Dead Man, 17.7. Überraschungsfilm; www.insel-lichtspiele.de. Kai 05, Vogelhüttendeich 120: 14.7. Crossing the Bridge, 19.7. Dittsche – Das wirklich wahre Leben; www.kai05.de.