berliner szenen
: Nach Corona: Woodstock

Unter dem Baldachin im Café ist es angenehm und die leichte Brise, die ab und zu weht, verschafft ein wenig Kühlung. Ich lupfe mein Kleid, nehme einen Schluck vom geeisten Kaffee, strecke die Beine von mir und beobachte die Schöneberger. Männer mit dicken Oberarmen in engen T-Shirts und Frauen mit luftigen Kleidern laufen vorbei. An der Ampel küsst sich ein Paar.

Am Nebentisch begrüßen sich eine Frau und ein Mann. Sie umarmen sich lang und stehen etwa eine Minute aneinandergepresst mit geschlossenen Augen da.

„Mh“, macht die Frau dann, „danke für deine Energie.“ Sie trägt einen Dreadlockdutt und ein blumiges Kleid, er Schlabberhose und ein weinrotes T-Shirt. Sie haben offenbar viel zu besprechen, denn sie legen gleich los.

„Ich finde, die Massagen müssen mindestens 2 Stunden dauern“, sagt sie. „Nur dann hat man Zeit, wirklich etwas zu ergründen, sein höheres, lustvolles Ich zu finden.“ Ich sehe wieder hinüber.

„Mindestens“, sagt er. „Vielleicht kann man das als Basis anbieten, und wer es noch mehr intense möchte, verlängert. Können wir im Raum rechts eine Schaukel aufhängen?“ – „Klar. Ich habe auch an ein Wasserbecken gedacht“, sagt die Frau. „Wir müssen nur gucken, wie wir das mit den Hygienemaßgaben hinbekommen.“

„Da arbeite ich mich noch durch.“ – „Und der Name?“, fragt die Frau und holt einen Hefter aus ihrer Tasche. – „Wie findest du Tantra-high? Den gibt’s noch nicht in Berlin.“ Der Typ überlegt und sagt: „Klingt sinnlich.“

Ich blubbere durch den Strohhalm in meinen Kaffee und denke daran, was A. neulich meinte: „Das wird der Sommer of Sex“, sagte er. „Ein zweites Woodstock, nur überall in der Stadt. Hat was mit Corona zu tun, hab ich gelesen.“

Und ich beginne zu ahnen, was er meint. Isobel Markus