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Seit 1966 versteht sich Hanspeter Heidrich als Komplize künstlerischer Rebellion. Das ist auch in „Heidrichs Kunsthandlung“ so geblieben

Die Ausstellungstitel weisen den Weg. „Malen Frauen/Männer anders?“, „Alles in guter Ordnung“ oder „Was soll denn das?“ heißen die Arrangements in Heidrichs Kunsthandlung. Die Untertitel entschlüsseln die provokanten Fragestellungen oder die vermeintliche Beruhigung: „konkrete & konstruktive Kunst“, „Fluxus, Neodada und Co.“ oder zeitlich Verwandtes. Damit gibt sich der Hausherr als Komplize der künstlerischen Rebellion vor vierzig Jahren zu erkennen.

1966 eröffnete der nunmehr 63-jährige Hanspeter Heidrich die „Galerie Daedalus“ in der Ludwigkirchstraße, nahe der Westberliner Galerienmeile Fasanenstraße. Damals präsentierte er den 1891 geborenen Avantgardisten Erich Buchholz und den Bilderstürmer Timm Ulrichs gleichermaßen. Arbeiten von beiden fügen sich heute in Heidrichs Motto „Zeitgenössische Kunst in kleinem Format“, das die Größe der Objekte auf 40 x 40 x 40 Zentimeter begrenzt.

Dazu gehört etwa die geschredderte und dann in einer Plastiktüte verschweißte Ausgabe des „Stephen Daedalus“ von James Joyce, die Ulrichs’ respektlosen Umgang mit den ehrwürdigen Instanzen jener Zeit widerspiegelt. Wie auch andere Bilder, Bücher, Multiples und Relikte damaligen Schaffens, so die gehäkelten Gebrauchsgegenstände von Christa Lustig oder eine zum Schimmeln angelegte Box von Diter Rot. Von der Gegenhaltung zur Ende der Sechzigerjahre salonfähigen abstrakten Kunst zeugt der zerschnittene Kleiderbügel Stefan Wewerkas, sich noch heute Funktion und Schönheit verweigernd.

Mit solchen Objekten ließ sich damals kein Geld machen, auch nicht mit konkreter Malerei eines Richard Paul Lohse, dessen erste Berliner Ausstellung bei Daedalus stattfand. Das Lob als „Avantgardegalerie“ nutzte wenig, wenn die Besucher „um die Ecke in der Galerie Bremer dann das kaufen, was sie immer schon an der Wand hängen haben wollten“, so Heidrich lakonisch. 1972 entschloss er sich zur Aufgabe und wurde prompt von der Interessengemeinschaft Berliner Kunsthändler, mit der er 1969 die „Erste Frühjahrsmesse Berliner Galerien“ organisiert hatte, zum Geschäftsführer bestellt. Die Galerie wandelte sich zum Büro, und Heidrich verbrachte mehr Zeit dort denn als Galerist, der sich halbtags anderweitig um seinen Lebensunterhalt kümmern musste.

Den Exkollegen blieb er bis 1992 auch als Chefredakteur ihres Berliner Kunstblatts verbunden, dessen gelbe Seiten er dann zum selbstständigen Berliner Kunstkalender ausbaute. 2002 in den Ruhestand getreten, sichtete er seine „Kunstansammlung“ aus drei Jahrzehnten. Eine auf Anregung von Lohse um 1970 entstandene Ausstellung namens „mini objekte bilder“ wurde zur Initialidee für die „Wiederholungstat“ Galerie. Auch dank der überschaubaren Exponate steht Heidrich nicht mehr unter finanziellem Druck. Durch einen Luxus des Alters, der Gelassenheit, füllt er seine Rolle als „Diener der Künstler“ im Sinn einer Förderung durch Verkauf aus. Das Selbstverständnis gegenüber dem Kunden ist das einer „guten Buchhandlung“, in der aus einem ausgewählten, sich stets verändernden Bestand geschöpft werden kann.

Wenngleich sich Heidrich bei den Künstlern ähnlichen Alters eher zu Hause fühlt, ist das Programm nicht ausschließlich historisch. Zu sehen gibt es auch Gegenwärtiges wie die Bilder und Zeichnungen von Hühnern, denen die Malerin Karoline Koeppel gleichsam Charaktere verliehen hat. Und ein Brückenschlag sind die Arbeiten, die Heidrich ab 1. September unter dem Titel „100 mal 20x20“ ausstellen wird. Den Neubeginn annoncierte er befreundeten Künstlern nicht mit einem Serienbrief, er sandte ihnen zwei 20 x 20 Zentimeter große Leinwände und bat um einen Beitrag. Die meisten antworteten mit Bewährtem: Laszlo Lakner sandte abstrakte Schriftbilder, Matthias Koeppel Miniaturlandschaften und Hans Ticha ein zeichenhaftes „Aufwärts“.

Der vermeintlichen Komik der gepflegten Manier setzt Heidrich den lebendigen Geist dieser Künstler entgegen, den er anderen, in ihrer Machart erstarrten Produzenten abspricht. „weiter im text“, eine angebotene Serie von Wortbildern und wiederum von Ulrichs, könnte auch die Devise Heidrichs sein, der im kleinen Format die Kunst vielleicht das werden lässt, was die Weggefährten einst beabsichtigen: Bedenkenswertes im Alltag zu sein. MICHAEL KASISKE

Tieckstraße 27, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 11–16 Uhr. Keine Website

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