die woche in berlin
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Enttäuschung pur über Rot-Rot-Grün: Der Senat lockert die Coronaregeln zu schnell, der 20.000-Wohnungen-Kauf soll vor allem der siechenden SPD im Wahlkampf helfen, und Unter den Linden wird – anders als vereinbart – erst mal keine Fußgängerzone

Besser noch mal neu denken

Unter den Linden wird doch keine Fußgängerzone

Viereinhalb Jahre ist es nun her, da stimmte ein Punkt in den damaligen Koalitionsverhandlungen einen Kollegen in unserer Redaktion geradezu euphorisch: „Weiter so, avanti, avanti, Rot-Rot-Grün!“, schrieb er über die Ankündigung, die Straße Unter den Linden autofrei zu machen. Und der Kollege träumte sogar gleich weiter: von einer autofreien Straße des 17. Juni als „Gegenstück zum New Yorker Central Park mit freier Fahrt für Inlineskater“.

Der Rückblick ins Archiv soll zeigen, dass die Idee, die dann auch in der Koalitionsvereinbarung landete („Das Umfeld des Humboldt-Forums wird verkehrsberuhigt und der Straßenraum bis zum Brandenburger Tor fußgängerfreundlich umgestaltet. Dabei wird der motorisierte Individualverkehr unterbunden zugunsten des Umweltverbundes.“) eine Menge Fans fand. „Cool, die trauen sich ja was“, dachten viele.

Es wäre ja auch zu schön gewesen. Bis auf Weiteres wird das Wort von der „Flaniermeile“ bestenfalls eine Anmaßung bleiben. Wer flaniert schon über den Mittelstreifen einer Verkehrsschneise, selbst wenn der, wie in diesem Fall, ein bisschen breiter ist? So etwas funktioniert auch jenseits von Unter den Linden nicht. Man denke an die zigmal umgestaltete Tauentzienstraße, in deren Mitte sich auch niemand länger als nötig freiwillig aufhält.

Irgendwie fanden dann die Verkehrsplaner in der Senatsverkehrsverwaltung von Regine Günther (Grüne) den kühnen Plan, jeglichen MIV („motorisierten Individualverkehr“) von der einstigen Prachtstraße zu verbannen, doch nicht umsetzbar. Jetzt soll erst mal eine Dreiteilung her: Eine Spur für Fahrräder, eine für Busse, eine für Autos.

Das ist in jedem Fall besser als der Status quo. Warum allerdings die Busse nach Inbetriebnahme der U 5 weiter über die Linden rollen müssen, erschließt sich aus verkehrspolitischer Sicht keineswegs – wahrscheinlich hat das Argument, TouristInnen liebten die Fahrt mit dem 100er so sehr, besonderes Gewicht. Aber reicht das als Grund?

Unterm Strich hat der Senat in dieser Hinsicht einfach falsche Versprechungen gemacht. Mal sehen, ob nach dem angekündigten Beteiligungsformat („Stadtdebatte“) irgendwann doch noch mehr rauszuholen ist. Es sollte am besten gleich die Form eines schlüssigen Gesamtkonzepts für die gesamte Friedrichstadt haben. Denn auch bei dem Verkehrsversuch der autofreien Friedrichstraße, wo sich das entspannte Flanieren überdeutlich mit dem Quasiradschnellweg beißt, wird am Ende wohl herauskommen: besser noch mal neu denken.

Claudius Prößer

Grobes Foul der SPD im Wahlkampf

Neue Details zum kontroversen Wohnungsdeal des Senats

Es gibt Deals, die klingen erst mal gut, doch dann kommen die problematischen Details ans Licht. Solche Deals kann man auch Täuschungsmanöver nennen. Womöglich ist der Kauf von 20.000 Wohnungen der Deutschen Wohnen und Vonovia durch den Senat ein solches Täuschungsmanöver – mitten im Wahlkampf.

Erstmals klang es gut für die Mieterinnen und Mieter der Deutschen Wohnen, mit 115.000 Wohnungen bislang Berlins größter privater Vermieter. Keine Mieterhöhungen in nächster Zeit, das war ein Versprechen, das der Senat dem börsennotierten Unternehmen abgerungen zu haben scheint. Und 20.000 Wohnungen mehr in landeseigenem Besitz: Wer sollte da etwas dagegen sagen?

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz (beide SPD) der Deutschen Wohnen mit dem Deal aus der Patsche halfen. Mit der Fusion beider Unternehmen, die Berlin durch den Kaufpreis mitfinanziert, verschwindet nicht nur der Bad Guy auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Auch das Volksbegehen zur Kommunalisierung privater Wohnungsunternehmen könnte ausgebremst werden.

Doch dann kamen in dieser Woche mehr Details ans Licht, etwa bei der Hauptversammlung der Deutschen Wohnen am Dienstag. Zumindest jene rund 12.000 Wohnungen, die aus deren Bestand in das milliardenschwere Verkaufsangebot eingebracht werden sollen, gehören zum „nichtstrategischen Portfolio“, wie DW-Chef Michael Zahn einräumte. Sie sollten also langfristig ohnehin abgestoßen werden. Von wegen Deal.

So machte das Wort von der „Reste­rampe“ die Runde. Ein Teil der Wohnungen ist zudem wohl asbestverseucht. Für die jahrelange Praxis, die Bestände verwahrlosen zu lassen, wird die Deutsche Wohnen nun sogar noch belohnt.

Am schwersten freilich wiegt der Wahlkampfvorwurf. Denn die Großsiedlungen, um die es geht, liegen teilweise in Bezirken mit SPD-Bürgermeistern. Kein Wunder, dass Grüne und Linke am Mittwoch im Stadtentwicklungsausschuss weitere Aufklärung forderten. Denn von dem Deal, bei dem immer mehr fiese Details ans Licht kommen, haben sie erst erfahren, als er schon eingetütet war. Ein grobes Foul der SPD. Ob es belohnt wird, zeigt sich am 26. September.

Uwe Rada

Für ihre jahrelange Praxis, die Bestände verwahrlosen zu lassen, wird die Deutsche Wohnen nun sogar noch belohnt

Uwe Rada über die Folgen des Wohnungsdeals zwischen dem Senat und Vonovia

Das völlig falsche Signal in dieser Phase

Senat lockert Pandemieregeln – bei stagnierender Inzidenz

Wegen der – alternativ formuliert – stark oder dramatisch oder drastisch zurückgehenden Corona-Ansteckungszahlen hat der Senat am Dienstag dieses gelockert und jenes wegfallen lassen. Was konkret vor allem heißt: seit Freitag keine Testpflicht mehr in Biergärten und Geschäften und auch drinnen erlaubte Treffen von bis zu drei Haushalten. Die Sache ist bloß: Die Zahl der Neuansteckungen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche sinkt nicht mehr schnell.

Weil das auch schon am Dienstag gut erkennbar war, stellt sich die Frage, ob eine weitere Woche des Abwartens nicht besser gewesen wäre. Hätte der Senat vergangene Woche gelockert, hätte sich diese Frage nicht gestellt. Da hatte sich die 7-Tage-Inzidenz binnen neun Tagen fast halbiert, von 64 auf 34, der Trend schien unaufhaltbar. Jene Lockerungen passierten aus einem ganz praktischen Grund nicht: Wegen des vorangehenden Pfingstfests tagte der Senat nicht.

Nun sieht das anders aus. Während die Zahlen in Brandenburg weiter stark gesunken sind und mittlerweile unter 20 liegen, hat sich die 7-Tage-Inzidenz in Berlin bis Mitte dieser Woche kaum weiter verringert, bis Donnerstag nur auf 31,4. Zwischenzeitlich war die Zahl gegenüber dem Vortag sogar mal gestiegen.

Jetzt kann man natürlich relativieren: Ja, aber guck doch mal, woher wir kommen, wir lagen in Berlin doch mal fast bei 200, da ist 30 doch fast nichts mehr. Absolut betrachtet aber gilt: Bei einem 30er-Wert leuchtet die Corona­warnampel des Landes weiter rot, für Grün braucht es Werte unter 20.

Wer bei dem zunehmend schönen Wetter dichte Menschenmengen weitgehend ohne Maske zusammenstehen sah, musste sich ohnehin fragen, wie die Ansteckungszahlen so drastisch sinken konnten. Immer mehr Geimpfte und Tests dürften entscheidend gewesen sein. Jetzt aber sieht es so aus, als mache sich das oftmalige Ignorieren der Corona­regeln bemerkbar, als stoße die Entwicklung im dicht besiedelten Berlin anders als in Brandenburg an ihre Grenzen. Und auch ein Blick nach Großbritannien, wo offenbar die stark ansteckende Mutante Delta die Infektionszahlen wieder deutlich ansteigen lässt, wäre ein guter Grund für Vorsicht.

Als der Senat erste Lockerungen vor zweieinhalb Wochen vorstellte, band er weitere Öffnungen an einen festen Trend, also nicht an ein bloßes Stagnieren unterhalb eines bestimmten Werts. Nun aber kommt die Lockerung in genau so einer Situation – und damit lautet die Botschaft für viele, auch wenn es Senatsmitglieder am Dienstag mehrfach bestritten: Corona ist eigentlich vorbei, wir haben’s hinter uns.

Schön, wenn es letztlich so wäre – aber die Werte geben es nicht her. Und auch wenn die Intensivstationen auf besagter Ampel wieder im grünen Bereich sind: Weiterhin sterben täglich Menschen an Corona. Gefordert ist vom Senat jetzt eine klarere Ansage denn je, die Regeln zu Abstand und Maske einzuhalten, und noch mehr zu Tests aufzurufen – und im Zweifel der Mut, eine Lockerung wieder rückgängig zu machen, wenn sich zeigt, dass sie nicht funktioniert. Stefan Alberti