piwik no script img

Es zischt im Schilf

Die Open-Air-Ausstellung „Terrestrial Assemblage“ blickt auf das Verhältnis des Menschen zu seinem Lebensraum im Kapitalozän. Auch beim heutigen Symposium stehen Klimawandel und Ländergrenzen im Vordergrund

Von Sabine Weier

Aus einem Schilfbüschel zischt eine Dampfwolke empor, Stahl- und Holzstelzen tragen großformatige Bilder und mitten im Wasser glänzen Skulpturen und Installationen unter den ersten warmen Sonnenstrahlen, die in den Berliner Lockdown dringen. Um die Kunstwerke aus der Nähe zu betrachten, die jetzt bei der Floating University im Rahmen der Ausstellung „Terres­trial Assemblage“ zu sehen sind, waten Be­su­che­r*in­nen in Gummistiefeln vorbei an Blesshühnern durch flaches Wasser. Darin spiegeln sich ein paar Schäfchenwolken und die Kunst.

In dem von einer baumbewachsenen Böschung umrandeten Rückhaltebecken hat das Berliner Architekturkollektiv raumlabor vor einigen Jahren Strukturen für ein anderes Zusammensein gebaut. Über lange Holzstege und Treppen lassen sich Elemente erschließen, die aus Stahlgerüsten, Holz und dem Schilf gebaut sind, das am Beckenufer wächst. Städ­te­r*in­nen sollen hier ein urbanes Leben nach den Betonlandschaften der Moderne und Postmoderne imaginieren.

Ein Volksentscheid verhinderte 2014 Bebauungspläne am Tempelhofer Feld und sorgte damit auch für den Erhalt des Beckens. Nachdem es über 60 Jahre unzugänglich war, hat sich hier ein quirliges Biotop entwickelt, mit dem die baulichen Interventionen der Floating University koexistieren. Es ist ein Ort der „dritten Landschaft“, ein Begriff des französischen Landschaftsarchitekten Gilles Clément, mit dem er zurückgelassene städtische oder ländliche Flächen bezeichnet, Übergangsräume, wie Sümpfe und Ufer, aber auch Straßenränder oder Bahndämme. Lokal entfaltet sich hier eine alternative Vision des Zusammenlebens vor der Folie des planetarischen Status quo: Im Kapitalozän, verursacht durch die kapitalistische Produktionsweise, ist die menschengemachte Klimakrise Dauerzustand, schwinden Lebensräume für alle Spezies, erweisen sich gängige urbane Praxen als unzulänglich.

Eine Symbiose von Natur und Kultur schwebt auch der Philosophin Donna Haraway vor, die dafür plädiert, die Speziesgrenzen im Denken zu überwinden. Ihre Vorstellung von der „Naturkultur“ ist Ausgangspunkt für die Teichinstallation Anne Duk Hee Jordans. Als Teil einer seit 2017 fortlaufenden Arbeit entwarf die Künstlerin eine Roboter-Wasserkrabbe, die daran scheitert, den Müll in den Ozeanen zu beseitigen. Deren Fehlfunktion ist ein Plädoyer für eine „Artificial Stupidity“ in einem auf Funktionalität geschliffenen Lebensraum, der das Organische und Zufällige verdrängt. Einige Meter weiter vibriert ein Ei auf der Wasseroberfläche, es ist eine kinetische Klangskulptur Marco Barottis. Sie wandelt aus dem Internet eingespeiste Echtzeitdaten (Geburten- und Sterberaten) in Bassfrequenzen um; durch die Vibration verändert das Ei kontinuierlich seine Form.

Dass die Be­su­che­r*in­nen durch kontaminierten Schlamm waten, erfahren sie mit der Arbeit Folke Köbberlings: Die Künstlerin lässt ihn in durchsichtigen Behältern durch reinigende Schafswolle sickern. Auf einer Tafel illustrieren Ergebnisse von Laboranalysen die Schwermetallbelastung in urbanen Räumen.

Shira Wachsmann beschäftigt sich in einer Videoarbeit mit den akustischen Befindlichkeiten eines Kaktusgewächses, das je im palästinensischen und israelischen Kontext unterschiedliche politische Bedeutungen annimmt. Clemens Wilhelm reflektiert in einem Film ausgehend von einer 13.000 Jahre alten, aus einem Mammutstoßzahn geschnitzten Figur über das Verhältnis von Kunst und Klimawandel.

Lokal entfaltet sich hier eine alternative Vision des Zusammenlebens

Als eine Spielart von Cléments „dritter Landschaft“ können demilitarisierte Zonen gelten, wie jene zwischen Nord- und Südkorea. Santiago Sierra ließ dort zwei große Löcher ausheben und die herausgebaggerten Erdblöcke in das jeweils andere Loch versetzen. So fand er eine Metapher für willkürlich konstruierte Grenzziehungen. Jetzt läuft die filmische Dokumentation auf einem Bildschirm in einem der hölzernen Floßgebäude. Ein paar Meter weiter in einem Kino aus Schilfwänden „unterwandert“ Mischa Leinkauf buchstäblich politische Grenzen: als Taucher auf dem Meeresgrund unter Israel, Jordanien, Ägypten, der spanischen Enklave Ceuta und Marokko.

Eingebettet in die ausdrucksstarke Struktur der Floating University kann sich die Kunst, in der Diskurse zu Objekten und Filmbildern erstarren, nur schwer behaupten. Die Menschen, die jetzt auf den Flößen im Becken schippern, oder die Gruppe Kinder, die in einem der offenen Räume bastelt, machen Lust auf das, was die Pandemie uns gerade gleichermaßen nimmt und dringlicher macht: zusammen sein und gemeinsam Gegenentwürfe zum Kapitalozän denken.

Das Symposium zu „Terres­trial Assemblage“, das heute stattfindet, muss noch als Livestream auskommen. Doch die für den Sommer geplante zweite Ausgabe des Festivals „Climate Care“, bei dem Vorträge und Workshops dazu einladen, sich mit Care-Ethik, Umweltwissenschaften und Klimakrise zu beschäftigen, könnte unter Umständen wieder als Zusammenkunft stattfinden – als soziale Plastik, ließe sich mit Joseph Beuys sagen. Analog zu Beuys’ Diktum, „jeder Mensch ist ein Künstler“, entwarf Clément die Vision, „jeder Mensch ist ein Gärtner“. Seinen Lebensraum soll dieser erschaffen, mahnt er, und nicht zerstören.

Bis 6. Juni, Floating University, Anmeldung über terrestrialassemblage.com erforderlich; Symposium: heute, 10–18 Uhr, per Livestream und im Auditorium der Floating University

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen