wortwechsel
: Transparenz kann ganz schön wehtun, oder?

Die Grünen in Regierungsverantwortung – Enttäuschung vorprogrammiert? taz-Le­se­r:in­nen messen die Wahlversprechen an Entscheidungen der grün (mit)regierten Bundesländer

Erneuerung unter der Sonnenblumenkrone? Hier wirbt Annalena Baerbock in Magdeburg um grüne Stimmen bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Sorry: Zielabweichung!

„Sture grüne Beamtenlogik“,

taz vom 27. 5. 21

Die hessischen Grünen weigern sich, die NSU-Akten des Untersuchungsausschusses offenzulegen. Ein bekanntes Verhaltensmuster in dieser Partei. Die Grünen in der Oppositionsrolle fallen immer wieder als Maulhelden auf, die in der Regierung von ihren vollmundigen Ankündigungen nichts mehr wissen wollen. Die Zustimmung zu Garzweiler II der NRW-Grünen mit Bärbel Höhn als Umweltministerin war so ein Vorgang. Zuvor hieß es aufgeblasen: „Ein Regierungsbündnis mit der SPD werden die nordrhein-westfälischen Grünen nur eingehen, wenn der Ausstieg aus dem umstrittenen Braunkohletagebau Garzweiler II festgeschrieben wird.“ Später kam der entgegengesetzte Beschluss. Oder die Entscheidung in der zweiten rot-grünen NRW-Regierung mit Löhrmann und Remmel. Vor der Wahl vollmundige Versprechungen zum Kohlekraftwerk Datteln 4: „Wir werden dieses Projekt beenden.“ Nach der Wahl: Taktieren und hinhalten und dann Zustimmung zu einer Ausnahmegenehmigung – im Behörden-Sprech „Zielabweichungsverfahren“ genannt. Oder Tarek Al-Wazir in Hessen: Dieses unsägliche Herumgeeiere beim Autobahnbau und der Rodung des Dannenröder Forstes. Und jetzt verweigert die selbsternannte Bürgerrechtspartei den Opfern die Einsicht in die Untersuchung der Machenschaften der Sicherheitsbehörden. Immer ist es dieser Partei wichtiger, dass grüne Minister ihre warm gepolsterten Sessel besetzen, Koalitionsräson geht vor politischer Grundüberzeugung. Die Grünen haben sich schon sehr lange zu einer stinknormalen Partei gewandelt. Der grüne Hype steht auf ziemlich tönernen Füßen.

Raimund Schorn-Lichtenthäler, Datteln

Sorry: Vergessen!

„Baerbocks umstrittene Sonderzahlungen“, taz vom 25. 5. 21

Frau Baerbock sagte nach ihrer Kandidatinnenkür: „Eine grüne Kanzlerinnenkandidatur steht für ein neues Verständnis von politischer Führung. Entschieden und transparent, lernfähig und selbstkritisch. Ja, ich war noch nie Kanzlerin, auch noch nie Ministerin. Ich trete an für Erneuerung. Für den Status quo stehen andere.“ Zumindest an der Transparenz muss sie allerdings noch arbeiten, besonders selbstkritisch fand ich den Umgang mit den vergessenen Einkünften nicht – und so weit vom Status quo ist Vergesslichkeit bei Spitzenpolitikern auch nicht entfernt. Dass die „selbstständige“ Nachmeldung kurz nach der Kandidatinnenveröffentlichung erfolgt ist, hat für mein Gefühl ein Geschmäckle. Ich habe den Eindruck, dass in den Medien die frische, dynamische und unverbraucht wirkende Kanzlerkandidatin im Vergleich mit den beiden alten weißen Männern einen so großen Sympathievorschuss bekommt, dass eine kritische Berichterstattung einfach nicht in das Bild passt.

Bitte versuchen Sie, den Ehrenkodex der journalistischen Zunft zu bewahren und messen Sie die Kandidaten mit der gleichen Elle. Martin Wilczek, Lubmin

Palmer: Sorry reicht nicht

„Test für grüne Vielfalt“, taz vom 9. 5. 21

Lieber Herr Unfried, Ihrer Meinung, dass das Parteiausschlussverfahren der Grünen gegen Boris Palmer ein „Lackmustest“ für die Vielfalt der Partei ist, kann ich nur in Teilen zustimmen. Herr Palmer hat schon in der Vergangenheit mit allerlei Sprüchen geglänzt, die nah an Rassismus oder zumindest Ausländerdiskriminierung grenzten. Dieses Mal ist er nicht nur inhaltlich, sondern auch verbal entgleist, weil er dem N-Wort noch ein beleidigendes Wort für das Geschlechtsteil von Herrn Aogo hinzugefügt hat. Das alles wird in Ihrem Artikel nicht erwähnt, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Parteispitze in der Vergangenheit mehrfach die Wogen hinter den Kulissen geglättet hat. Stattdessen erwecken Sie den Anschein, dass die Grünen mit dem Parteiausschlussverfahren versuchen, einen kritischen oder gegenteiligen Standpunkt innerhalb der Partei zu unterdrücken und sich Mitglieder nun sorgen müssten, dass sie ebenfalls aussortiert werden, sollten sie etwas sagen, das nicht in die derzeitige antirassistische Sprache und Denkweise passt. Gerade die Grünen sind jedoch eine Partei, die sich eigentlich immer schon untereinander trefflich streiten konnte. Dass die Mitglieder nun so friedlich und geschlossen auftreten, ist allein dem gemeinsamen Ziel geschuldet, endlich wieder Regierungspartei sein zu wollen. In diese Parteidisziplin hinein platzte nun Herr Palmer ohne Not mit seiner Bombe, und ich kann gut verstehen, dass viele in der Partei nun endgültig kein Verständnis mehr für ihn haben, auch wenn er ein sehr guter Lokalpolitiker ist.

Christina Hegenberg, Grasbrunn

Die Fundamentalisten …

Die grüne Richtung stimmt. Deutschland hätte mit einer Kanzlerin Baerbock (Spitzname Trampolin-Anna) eine echte Chance auf einen Neuanfang, wenn die Fundamentalisten dieser Partei nicht alles im Ansatz zerstören. Das betrifft vor allem die Gesellschaftspolitik. Integration statt weiterer Zuwanderung muss der Vorrang erteilt werden. Darauf sollten auch die Grünen Rücksicht nehmen, wenn sie ihren Traum vom Berliner Kanzleramt nicht schon vorzeitig ad acta legen wollen.

Claus Reis, Schwabach in Franken

… und die taz?

betr.: Parteiberichterstattung der taz

Der Bundestagswahlkampf wirft langsam seine Schatten – und die taz läuft Gefahr, zu einem Sprachrohr der Grünen zu werden. Dass grüne Politik in Hessen und BaWü selten auf den Prüfstand gestellt wird – mit der lobenswerten Ausnahme der Laviererei der hessischen Grünen bezüglich der rechten Morde –, ist einer alternativen Tageszeitung nicht angemessen. Mit SPD-Bashing und Grünenlobhudeleien begibt sich die taz auf einen bedenklichen Weg. Dass mich diese Entwicklung schmerzt, ist eher zweitrangig. Aber journalistisch halte ich das für unklug und falsch. Als Leser und taz-Genosse der ersten Stunde finde ich es bedauerlich, dass sich die taz ihrer Stärke, links und unabhängig zu sein, beraubt.

Walter Lochmann, Bad Vilbel