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: Vor Erleichterung mache ich Freudensprünge

Irritiert starre ich auf mein Handy. Vor einer Stunde hat mein Vater versucht anzurufen. Genau an dem Tag, um die Zeit, zu der er seinen von mir gebuchten Impftermin haben sollte. Ich höre meine Mailbox ab und erstarre: Statt nach Tegel ist er nach Tempelhof gefahren. Er führe, lese ich in einer SMS, die er kurz nach dem Anrufversuch geschrieben hat, nun wieder nach Hause und versuche, einen Impftermin bei seiner Hausärztin zu bekommen. Ich probiere zurückzurufen, um zu sagen, dass er das knicken könne. Dass die Hausärzte nur wenige Dosen und keine Kapazitäten haben. Dass er sofort bei der Impfhotline anrufen und einen neuen Termin vereinbaren müsse. Aber ich kann ihn weder auf dem Festnetz noch auf dem Handy erreichen. Also rufe ich kurzerhand die Impfhotline an, erkläre, was passiert ist, und frage, ob ich seinen Termin in Tegel umbuchen könne. Auf einen späteren Zeitpunkt am selben Tag.

Der Mann in der Leitung bedauert: „Der nächste freie Termin ist Ende Mai.“ Ich schlucke. Er lässt sich die Daten meines Vaters geben und meint: „Aber im System sieht es so aus, als sei der Termin wahrgenommen worden.“ Ich öffne meinen Doctolib-Account. Tatsächlich: Soeben wurden Dokumente hochgeladen. Zwei Bögen. Mit den Unterschriften meines Vaters. Und ein Impfstempel: gegen Sars-CoV-2. Vor Erleichterung mache ich Freudensprünge.

Als ich meinen Vater Stunden später endlich auf dem Festnetz erreiche, erklärt er lapidar: „Die Hausärztin meinte, dass sie so schnell keinen Impfstoff bekäme, und hat mir geraten, die Impfhotline anzurufen. Das habe ich gemacht. Ein netter Mann dort hat mir erklärt, dass ich einfach verspätet nach Tegel fahren solle.“ Ich rufe: „Da hast du aber Glück gehabt! Mir wurde genau das Gegenteil gesagt. Also, dass der Termin verflogen, zu spät kommen nicht möglich und ein neuer Termin frühestens in vier Wochen zu haben sei.“ Mein Vater meint zufrieden: „Da sieht man, dass es oft nur darauf ankommt, an wen man gerät.“

Warum er vorab nicht noch einmal in seinen Terminkalender geschaut hat, wo er für seine Impfung hinsoll, kann er sich nicht erklären. Wohl aber, warum er sich statt Tegel fälschlich Tempelhof gemerkt hatte: „Beide beginnen mit T und haben früher als Flughäfen eine Rolle gespielt.“ Sein Irrtum ist ihm peinlich. Ich beschwichtige ihn: „Es zählt nur, dass du es nach mehr als einem Jahr Isolation nun auch endlich geschafft hast, an eine Impfung zu kommen.“ Einen Monat zuvor hatte meine Mutter von der plötzlichen Freigabe AstraZenecas für alle Impfwilligen über 60 profitiert und war als Erste von uns geimpft worden.

Nur wenige Tage nach der Impfung meines Vaters bekommen auch mein Freund und ich einen Impftermin. Unsere Hausarztpraxis, bei der wir als Schulpersonal bekannt sind, ruft an und fragt, ob wir nicht gleich übermorgen vorbeikommen wollen. Sie hätten neue Impfdosen und nicht mehr viele andere Patienten in Prio 2 auf ihrer Liste stehen. Natürlich wollen wir. Noch kann ich kaum glauben, dass ich meine Eltern nach mehr als einem Jahr demnächst wieder einfach so zu uns einladen kann. Meine Tochter schon. Sie meint nur: „Das wurde auch Zeit. Wir müssen Weihnachten, Ostern und alles nachfeiern!“ Ich lächle: „Das werden wir.“ Und murmele dann: „Aber erst mal müssen wir noch auf dich aufpassen.“ Insgeheim denke ich: Bei der hohen Inzidenz unter Kindern gehört sie jetzt mit einem Mal zur Risikogruppe. Dann sage ich laut: „Wenn dieses verdammte Corona so eingedämmt ist, dass wirklich alle sicher vor ihm sind, schmeißen wir eine Mega­party und laden alle ein. Versprochen!“

Eva-Lena Lörzer