Gegen das Schwarzweiß-Denken

Unbequeme Selbstbefragung: Das Museumsquartier Osnabrück richtet eine antirassistische Veranstaltungsreihe aus

Von Harff-Peter Schönherr

Aus Rassismusdebatten halten sich deutsche Museen oft lieber raus. Das Thema Rassismus ist untrennbar mit dem Kolonialismus verzahnt, und viele Museen sind dessen Profiteure. Rassismuskritische Positionierung ist hier also selten – dabei ist so ein Museum ja ein Ort der Wissenschaft, und ist die Wissenschaft nicht stets neutral? Dem Museumsquartier Osnabrück (MQ4) liegt jede Bequemlichkeit fern: Anfang April ist dort eine auf sechs Monate angelegte Veranstaltungsreihe „We against silencing“ eröffnet worden. Ihr geht es um Diversität, um Marginalisiertes und Marginalisierte, um weiße Selbstüberhebung, Privilegien und Machtwillkür und darum, dass struktureller Rassismus eine Realität ist.

Entwickelt hat die Reihe Laura Hartmann, im MQ4 Museumslotsin und zuständig für „diversitätssensible Vermittlung“. Wichtig sei ihr „das Multiperspektivische“, erklärt sie: Blicke in die Vergangenheit also, aber auch Blicke auf die Gegenwart; Blicke hinein ins Lokale, Blicke hinaus in die Welt; akademische Blicke, künstlerische, polit-aktivistische. „Das Thema“, sagt Hartmann, „ist ja hochkomplex“.

Wäre Corona nicht dazwischengegrätscht, hätte alles im Museumsgarten angefangen, mit Schwarzen, Indigenen, Persons of Colour (BIPoC), von der Rapperin Kaleo Sansaa bis zur Slam-Poetin Nele Müller, die auch schon mal Sachen sagt wie „ich schrubbe und schrubbe jedes Körperteil / um mich rein zu waschen, um endlich weiß zu sein“. Dieses Event ist auf Anfang Juli verschoben worden – ob Müller den sechsstündigen Abend dann wirklich vor Publikum moderieren darf, DJ-Set inklusive? Das Programm eröffnete stattdessen der workshopartige Ethik- und Geschichts-Vortrag „Rassismus(-kritik) – eine Einführung“ vom Bildungs-Kollektiv „Amo – Braunschweig Postkolonial“, kaum überraschend als Videomeeting. Ob das demonstrative Schweigen, das die Basis-Nachhilfe in Political Correctness zeitweise bei den Zugeschalteten auslöste, wirklich ein Zeichen emotionaler Beklommenheit war? Vielleicht haben die Macher_innen sich mit dieser Interpretation ein wenig verrannt.

„Unangenehme Gedanken ausprobieren“

Morgen Abend zum Beispiel spricht Millay Hyatt über „Kritisch Weißsein – Weißsein als Privileg“, Diskussion inklusive. In ihrem Vortrag will die Autorin beleuchten, was es bedeutet, Weißen bewusst zu machen, dass sie, eben, Weiße sind: „Da geht es, auch, um eine Perspektivumkehrung, um eine Selbstbefragung“, sagt sie der taz, „um die Hinterfragung von Privilegien, das Ausprobieren unangenehmer Gedanken“. Dass sich eine Einrichtung wie das MQ4, das selbst ja Depotbestände aus Kolonialzeiten besitzt, diesem Thema stellt, begrüßt sie sehr. Auch Hartmann sagt: „Dass ein Museum eine Stelle wie die meine einrichtet, ist ja ein deutliches Beispiel dafür. Früher war es ein Ort der Archivierung kolonialer Vergangenheit, heute ist es ein Ort der Auseinandersetzung mit deren Folgen.“

Das MQ4, dass derzeit ja seine eigene, historisch durchaus belastete „Villa Schlikker“ umbaut zu einem „Friedenslabor“, stärkt durch sie sein Profil als „lebendiger Ort der Diskussion über unsere gemeinsame Geschichte mit ihren Ursachen und Folgen“.

Die Formate von „We against silencing“ reichen vom Gespräch mit Black-Lives-Matter-Aktivist_innen bis zum Kolonialismus-Rundgang. Ende Mai etwa liest Kübra Gümüşay aus ihrem Buch „Sprache und Sein“, das „die Sehnsucht nach einer Sprache“ beschreibe, „die die Menschen, die sie sprechen, in ihrer Vollständigkeit erfassen kann“. Die muslimische Feministin, streitbar und nicht unumstritten, einzuladen: Es ist eine mutige Wahl und zeugt von Offenheit.

Ohne das „Digital-Quartier“, die nicht-analoge Sparte des MQ4, wäre all das nicht denkbar – Corona ist vermutlich auch im Sommer noch nicht vorbei. Immerhin: Der zweitägige Workshop „Wie kann ich Rassismus im Alltag kritischer begegnen?“ im September und November hat Chancen auf Analogität.

„Kritisch Weißsein – Weißsein als Privileg“, Vortrag und Gespräch mit Millay Hyatt: Do, 29. 4., 18.30 Uhr, online. Alle Infos: www.museumsquartier-osnabrueck.de