: Künstliche Heimat
In der Ausstellung „MigraTouriSpace“ steht das Zusammenspiel zwischen Heimat und Exotik im Fokus. Untersucht werden die vielen Café Venezias genauso wie das Deutsche Dorf Dogil Maeul in Südkorea
Von Brigitte Werneburg
Der CLB-Ausstellungsraum ist gegenwärtig gar nicht so leicht ausfindig zu machen. Denn allem Anschein nach ist die Galerie einem Bistro 36 gewichen. Aber einen Versuch ist’s wert. Tritt man durch die Tür, stellt man schnell fest: Der Grillfettdunst stammt vom Imbiss nebenan. Das Bistro 36 ist nur eine fassadenfüllende Fototapete, und jetzt steht man in Stefanie Bürkles Ausstellung „MigraTouriSpace“, einer komplexen, vierteiligen Videoinstallation.
Im Hintergrund fällt die Aussicht auf eine typisch deutsche Wohnsiedlung auf, mit den zuletzt so geschmähten Einfamilienhäusern. Bis man zu ihnen vordringt, ist man dank der Video-Stationen schon darüber informiert, dass man sich in Südkorea, auf der Insel Namhaedo, befindet. Das dort errichtete Deutsche Dorf ist wie das Bistro 36 eine wandfüllende Fotografie und gleichzeitig der Ausgang zum Hinterhof.
Stefanie Bürkle, Professorin für Bildende Kunst am Institut für Architektur an der TU Berlin, ist in ihrer künstlerischen Praxis vor allem Stadtforscherin, wobei ihr Interesse jenen urbanen Räumen und deren oft sehr eigenwilliger und unvorhergesehener Entwicklung gilt, die aus dem gewohnten Wahrnehmungsraster fallen. Begabt mit einem eigenwilligen Gespür für unwahrscheinliche Gegebenheiten, findet Stefanie Bürkle die überraschendsten urbanen Settings – und verdankten sie dies auch nur ihrer Gewöhnlichkeit wie die Eiscafés Venezia in deutschen Klein- und Großstädten, denen Bürkle etwa nachgeforscht hat.
In der Betrachtung und Analyse dieser von ihr gerne Zwischenorte genannten Räume und Situationen finden sich oft mehr und vor allem ganz andere Informationen über die Stadt und die Stadtgesellschaft, als man sie erwartet. Insofern ist es nur folgerichtig, dass Stefanie Bürkle mit „MigraTouriSpace“ Teil des Sonderforschungsbereichs SFB1265 „Re-Figuration von Räumen“ an der TU Berlin ist. Hier werden die Veränderungen der sozialräumlichen Ordnungen seit den späten 1960er Jahren untersucht, nicht zuletzt um Konfliktpotenziale aufzuzeigen und alternative Gestaltungskonzepte für den öffentlichen Raum zu entwickeln.
Wie der Titel „MigraTouriSpace“ schon andeutet, stehen der Zusammenhang von Tourismus und Migration und die daraus resultierende Produktion von – oft neuartigen, kulturell hybriden – Bildern und Räumen samt den entsprechenden Verhaltensweisen und Lebensstilen im Zentrum des Interesses. Was auf der einen Seite der Versuch ist, ein wenig Heimat in die Fremde mitzunehmen, befriedigt dort womöglich das Verlangen nach Exotik und Ausbruch aus dem Alltag.
Und ist der Raum erst so kodiert, dann kann es passieren, dass man sich im mitgebrachten Eigenen „dauernd im Urlaub“ fühlt, wie Hans sagt, der seiner koreanischen Frau nach Dogil Maeul gefolgt ist. In dem Deutschen Dorf in Südkorea kommen wie im Dong Xuan Center, einem vietnamesischen Großhandelszentrum in Berlin-Lichtenberg, weltmaßstäbliche Veränderungen in lokalen Kontexten zur Sprache.
Ob sie als Boat People in Westdeutschland landeten oder als Vertragsarbeiter in die DDR kamen, die Mehrzahl der Vietnamesen in Deutschland arbeitet inzwischen als selbstständige Händler. Für sie ist das Dong Xuan Center ein sowohl wirtschaftlich wie gesellschaftlich wichtiger Stützpunkt. Aufgrund seines exotischen Flairs längst eine europaweite Touristenattraktion, droht das Center freilich diese Funktion für die vietnamesische Gemeinde zu verlieren.
Von Anfang an als Touristenattraktion geplant war Dogil Maeul. Sein Initiator Du-Kwan Kim, Bürgermeister des Dorfs Namhae-gun, unterschätzte allerdings das Ausmaß des Tourismus, das seinen Vorstoß nun ebenfalls ruinieren könnte. Zunächst ging es darum, die als Bergleute und Krankenschwestern nach Deutschland ausgewanderten Koreaner und Koreanerinnen bei ihrer Rückkehr willkommen zu heißen. Denn mit dem Geld, das sie nach Hause schickten, hatten sie wesentlich zum wirtschaftlichen Aufstieg Südkoreas beigetragen.
Du-Kwan Kim stellte ihnen daher billiges Bauland und in Form des Einfamilienhauses ein kleines Stück Deutschland in Aussicht und gleichzeitig seinem Dorf eine gewisse Bekanntheit als Touristenattraktion. Inzwischen denken die Bewohner Dogil Maeuls aber darüber nach, wegzuziehen, denn ihre Siedlung wird von Ausflüglern überschwemmt und dient vor allem als Kulisse für ausufernde Hochzeitsveranstaltungen. Sie sind übrigens auch das Problem des Dong Xuan Center.
Von diesen Problemlagen, aber auch über die – ob in der Gruppe oder individuell – als richtig und wichtig empfundenen Aspekte der Projekte Dogil Maeul und Dong Xuan Center können sich die Besucher:innen im CLB ein Bild, und zwar durchaus ihr eigenes Bild, machen. Denn die Videos, in denen Bürkle feste Einstellungen aneinanderschneidet, funktionieren eigensinnig, wollen weder die Tonspur mit den Interviewaussagen von Migranten und Touristen illustrieren, noch geben sie eine chronologisch oder geografisch geordnete Lesart vor.
Ob wir als Besucher:innen die Idylle von Dogil Maeul gegen die Markthallen in Lichtenberg schneiden oder ob wir verfolgen, wie der deutsche Baustil in das koreanische Dorf hineinlappt, weil die Touristen Imbisse und Service-Einrichtungen brauchen, die im Dorf nicht vorgesehen sind, bleibt uns überlassen.
So wie die Ausbeute der dreijährigen visuellen Feldforschung von Stefanie Bürkle und ihrem interdisziplinären Team in Berlin und Südkorea in der Ausstellung präsentiert wird, fordert sie unseren Beitrag unbedingt heraus. Denn die Daten, Bilder und Narrationen finden über unsere Wege durch die Installation vielfach geschichtet, montiert und verdichtet ihre Form. In dieser Form, als eigenständiges Werk, treten sie als eigentliche Forschungserkenntnis in Erscheinung.
Bis 23. Mai, CLB, Moritzplatz, Online-Anmeldung etc.
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