Jukebox

Gott spricht kein Englisch

Gott war betrunken, als er Jim White schuf. Whites Eltern saßen in einer Kneipe, ihnen gegenüber eine Gruppe Priester, die Whites Vater aufgrund seiner autoritären Art für einen Katholiken hielten und daher eine Runde Getränke spendierten. Das ging so weiter, und am Ende landete das schwer angetrunkene Paar im Bett. Da Sex bei den beiden rar war, kann Jim White seine Zeugung mit einiger Sicherheit auf diesen Abend ansetzen, und so heißt eines seiner Lieder: God was drunk when he made me. Kirchen und Kneipen – das sind die zentralen Instanzen in Whites Heimat im Süden der USA. Die Frage dort ist nicht ob, sondern nur wann der Heiland zurück auf die Erde kommt. Nach der Arbeit kehren die Leute in Kneipen ein, deren Wände mit Erlösungsszenen bemalt sind, auf denen Flugzeuge explodieren und die Seelen der Menschen in den Himmel aufsteigen. Es ist ein großartiges Storytelling, das sich im engen Griff des Bible Belt entwickelt hat und das mit White Trash und Bush-Texas nichts zu tun hat. Mit einer unglaublichen Ausdrucksfähigkeit und Metaphorik erzählen die Leute von Erlösung und Sünde; erzählt der Typ, warum er sich Tränen unter die Augen tätowiert hat, hört man von wundersamen Erlebnissen – und vom „wrong-eyed Jesus“. Jim White hat diese Kultur und diese Geschichten auf sein Album gebracht. Es sind ruhige, folkige Lieder, die eine gleichsam cineastische Wirkung entfalten. Whites Stücke verzaubern durch ihre wunderbaren Melodien, durch feine Bassläufe und brillante Details: ein Banjo, eine gefilterte Stimme, eine Snare-Drum im perfekten Moment. Es ist ein Trip, der ganz sanft daherkommt, die Gitarren scheinen einen im Verklingen hinüberzutragen in eine transzendente Welt. Aber keine Angst vor religiösem Fanatismus: I would write Jesus a letter, but I hear that he don’t speak English, singt Jim White. Humorvoller hätte er sein Leben wohl nicht auf den Punkt bringen können. Sebastian Frenzel