So verdammt sorgenfrei

LOW-FI Kat Frankies Stimme lässt niemanden kalt, ihre traurig-wuchtigen Lieder lösen selbst bei nüchternen Menschen Gänsehaut aus. Vor fünf Jahren zog die Musikerin von Sydney nach Berlin. Heute spielt sie im Prater

In ihren Songs versinkt man wie in einem viel zu weich gepolsterten Sessel

VON ARIANE BREYER

Nur für Berliner ist Berlin in erster Linie eine Stadt. Für alle anderen ist Berlin ein Versprechen. Das Versprechen nämlich, dass hier jeder seine Zeit vergeuden kann, nichts davon wiederbekommt und ihm deshalb aber gewiss niemand einen Vorwurf machen wird. Dass man hier das engste Verhältnis zum Augenblick aufbauen kann, meistens in der Nacht. Dies muss jenes erotische Kapital sein, von dem der Regierende Bürgermeister schwärmte, und es wird nicht in den PR-Zentralen auf oberster politischer Ebene vermehrt, sondern weiter unten, in Kellern und Ateliers und kleinen Bars. Angetrieben von einer euphorischen Verschwendungslust schlagen Musiker aus aller Welt hier ihre Gitarrenkoffer auf. Von ihnen bekommt Berlin endlos Kredit.

„Berlin ist ein Mythos, der sich selbst immer wieder selbst erneuert“, sagt die Australierin Kat Frankie über den Ort, in dem sie seit fünf Jahren lebt. Sie spricht Englisch, das ist ihr lieber. Sie ist nur eine der unzähligen Singer/Songwriter, die dem Versprechen der Stadt gefolgt sind, aber eine der unbedingt erwähnenswerten. Ihre Konzerte sind immer ein Ereignis. Auf der Bühne sieht sie aus wie ein trotziger Junge, dem man eine Gitarre geschenkt hat, und wenn sie singt, wundert man sich, wie viel Stimme aus so einem zerbrechlichen Körper kommen und wie überzeugend diese Stimme von Einsamkeit in Wut und von Enttäuschung in Aggressivität kippen kann, während sie von Liebe und Enttäuschung und Einsamkeit kündet, den großen zeitlosen Leiden eben. Es sind traurige Lieder mit großer Wucht.

Wobei Kat Frankie die emotionale Gewalt, von der sie singt, auch dem Zuhörer antut: Selbst nüchterne Naturen reagieren auf diese Stimme mit Gänsehaut, und wer gerade keinen Liebeskummer hat, wünscht sich sehnlichst welchen herbei. Nach den Konzerten kämen manchmal fremde Leute zu ihr, sagt sie, erzählten ihr Persönliches, weinten gar oder sagten Sachen wie: Sie habe ihr Leben gerettet. Das kann nur ein Qualitätsbeweis sein. Schließlich ist emotionale Einflussnahme eine der vornehmsten Aufgaben von Popmusik.

Die 31-Jährige kam nach Berlin, um ein Jahr zu bleiben, Songs zu schreiben und für ein paar Freigetränke in Bars zu spielen. „Das Gute an Berlin ist, dass man hier keinerlei sozialem oder finanziellem Druck ausgesetzt wird. Das Schlechte ist, dass viele talentierte Leute deshalb versumpfen.“ Kat Frankie ist dafür zu ehrgeizig und zu diszipliniert. Sie betreibt Selbstmarketing auf einigermaßen professionellem Niveau. Ihre Band sei die einzige, die sie kenne, sagt sie, und dass sie nie ohne Bügeleisen auf Tour gehe. Ob das nun der Grund dafür ist, dass sie mittlerweile von der Musik leben kann, sei dahingestellt; jedenfalls werden die Orte, an denen sie auftritt, prominenter. Vor ein paar Tagen spielte ihre Band in der Leipziger Moritzbastei, heute im Prater der Volksbühne, im Oktober tritt sie auf einem Festival in Chile auf. Ein Fan habe sie eingeladen, sagt sie. Mit ein bisschen ironischer Betonung auf dem Wort Fan.

In der Tat gibt es längst eine sehr treue Kat-Frankie-Anhängerschaft, obwohl sie erst ein Album rausgebracht hat. In Berliner Musikerkreisen kennt man sie sowieso. Neulich in Ulm präsentierte ihr ein Mädchen nach dem Konzert ein Tattoo, „so fucking careless and free“ stand da, eine Zeile aus Kat Frankies Song „Blameless“. Diese stürmische Verehrung ist ihr ein bisschen unangenehm.

Dabei berechnet sie die Überwältigungsstrategien, versetzt sich in Personen, in Szenen, in menschliche Dramen und schraubt dann so lange an den Melodien herum, bis sie das spezifische Gefühl herausgearbeitet hat. Sie nennt das „kontrollierte Energie“.

Vorher hat sie in Sydney eine Ausbildung zur Designerin gemacht und Möbel entworfen. „Ob man ein Möbelstück herstellt oder einen Song, der kreative Prozess ist derselbe.“ In ihren Songs sinkt man tief ein wie in einen zu weich gepolsterten Sessel.

Auch Kat Frankie hat schon Arbeit am Berlin-Mythos geleistet, als sie in Uli Schüppels Dokumentarfilm „Berlin Song“ mitspielte. Der Film, der 2007 auf der Berlinale lief, porträtiert sechs internationale Folkmusiker in Berlin. Sie alle sollten einen Song für ihre Wahlheimat verfassen. Kat Frankie schrieb „The faint-hearted ones“, einen Song über „the magic spell that stole your youth away“, irgendeinen magischen Zauber der Stadt, von dem man plötzlich feststellt, dass er einem die Jugend gestohlen hat. Sie wird hoffentlich irgendwann feststellen, dass sie sie sehr gut investiert hat.

■ Kat Frankie & Band, heute um 20.00 Uhr in der Volksbühne im Prater