„Der Bund reißt die Macht an sich“

Von der Bundesnotbremse hält Landrätin Peggy Greiser wenig. Sie plädiert für offene Schulen – und fordert eine Testpflicht für Betriebe

Der Schnelltestbus im Einsatz: unter anderem im Landkreis Schmalkalden-Meiningen soll hiermit flexibel getestet werden Foto: Martin Schutt/dpa

Interview Ralf Pauli

taz: Frau Greiser, Ihr Landkreis Schmalkalden-Meiningen ist Hochrisikogebiet. Die 7-Tage-Inzidenz liegt aktuell bei 311. Dennoch sind die Kitas und Schulen geöffnet. Warum?

Peggy Greiser: Für die Antwort muss ich ausholen. Unser Landkreis pendelt seit Monaten um den Inzidenzwert 300. Die Schulen waren aber von Mitte Dezember bis kurz vor Ostern geschlossen. Bei uns gibt es also bisher keine Evidenz, dass Schulschließungen zu einer Senkung der Infektionszahlen führen. Warum sollte man sie dann nicht mit einer entsprechenden Teststrategie und weiteren begleitenden Maßnahmen öffnen dürfen? Die Argumentation leuchtet mir nicht ein. Dazu kommt, dass ich als ausgebildete Pädagogin Schul­öffnungen nicht allein unter dem virologischen Aspekt diskutieren möchte. Wir haben hier auch mit Psychologen und Kinderärzten gesprochen und befunden: Wir müssen für das Wohl der Kinder Kitas und Schulen öffnen. Als die Landesregierung von Thüringen dann vor Ostern auf unser Bitten hin erlaubt hat, landesweit Kitas und Schulen auch über der Inzidenz 200 zu öffnen, haben wir uns sehr gefreut.

Zeit für lange Freude blieb Ihnen nicht. Am Dienstag beschloss das Bundeskabinett, dass Kitas und Schulen künftig ab der Inzidenz 200 schließen müssen. Was halten Sie davon?

Ich bin ehrlich gesagt nicht amüsiert. Der Bund nimmt uns damit die Kompetenz, die Lage vor Ort selber einzuschätzen. Entscheidend dabei ist aus meiner Sicht, dass die Schulschließungen nicht dazu beitragen werden, das Infektionsgeschehen zu mindern. Zumindest nicht in dem Maße, wie gesellschaftliche Kosten entstehen, wenn Kinder über Monate keinen Unterricht erhalten und Eltern dauerhaft überlastet sind. Das Infektionsgeschehen findet nach unseren Daten hauptsächlich im Privaten und in der Arbeitswelt statt. Über 60 Prozent aller Infektionen fallen auf die 30- bis 70-Jährigen, also die arbeitende Bevölkerung. Statt Schulen zu schließen, sollten wir eher über Vorgaben für Betriebe reden.

Brauchen wir eine Testpflicht in Betrieben?

Definitiv und eine Verpflichtung, dass sich die Mitarbeiter auch testen lassen müssen. Das ist das Wenigste, was aus der Wirtschaft jetzt zur Eindämmung der Pandemie kommen muss.

Wie stehen die Unternehmen in Ihrem Landkreis zum Testen?

Gerade komme ich von einem Unternehmen, das schon länger alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter testet. Auch unsere Schnelltestangebote haben zahlreiche Unternehmen angenommen. Es gibt aber auch die, die gar nicht testen, nicht mal, wenn es nachweislich Infektionen in der Firma gibt. Manche haben schlicht Angst vor dem Arbeitsausfall, wenn Angestellte in Quarantäne müssen. Bei Unternehmen, die von der Coronakrise hart gebeutelt sind, spielt sicherlich auch der finanzielle Aspekt eine Rolle. Dabei ist eigentlich allen klar, dass das Risiko, eine ganze Abteilung in Quarantäne zu stecken, ohne zu testen viel höher ist. Vor meiner Amtszeit arbeitete ich 25 Jahre lang in der Handwerkskammer und bin deshalb gut mit den Unternehmen im Kreis vernetzt. Mein Eindruck ist, dass es eine hohe Bereitschaft zu testen gibt. Dennoch: Ohne Verpflichtung klappt es nicht.

An Schulen hingegen will der Bund eine Testpflicht vorschreiben. 13 Länder haben die schon – Thüringen hingegen setzt immer noch auf Freiwilligkeit. Haben Sie dafür Verständnis?

Nein. Aus diesem Grund hatten wir uns auch dazu entschieden, nach den Osterferien an den Schulen in unserem Landkreis eine Testpflicht einzuführen. Das sind wir unseren Eltern, Kindern und Lehrkräften auch schuldig. Leider hat uns die Landesregierung aufgefordert, die Testpflicht wieder aus unserer All­ge­mein­verfügung raus­zu­ne­hmen – offensichtlich, weil die Beschaffung nicht sichergestellt war. In zwei Wochen will das Land aber noch mal evaluieren, ob doch eine Testpflicht eingeführt werden muss.

Die Bundesregierung will die Testpflicht an Schulen jetzt vorschreiben. Der Thüringer Bildungsminister Helmut Holter (Linkspartei) fordert, bei den Schulen müsse die Mitsprache der Länder gewahrt bleiben. Was erwarten Sie nun von Ihrer Landesregierung? Ein Veto, falls das Gesetz durch den Bundesrat muss?

Foto: privat

Peggy Greiser, 50 Jahre alt, par­tei­los, ist seit Juli 2018 Landrätin des Kreises Schmal­kalden-­Meiningen in Südthüringen.

Das Gesetz soll ja nicht zustimmungspflichtig sein. Ich bin aber der Meinung, dass Bildung Ländersache ist. Generell stört mich, dass wir Landkreise und kreisfreie Städte bei den Entscheidungen des Bundes zu wenig beteiligt werden. Der Bund reißt die Macht an sich, weil die Länder nicht liefern. Okay. Aber was in Erfurt oder jetzt in Berlin beschlossen wird, das baden wir in den Kreisen und den Kommunen aus. Ich würde mir wünschen, dass wir gerade beim Thema Schulen und Kita weiterhin mehr Flexibilität eingeräumt bekommen. Denn wir vor Ort können die Lage einfach am besten einschätzen.

Ich nehme an, das gilt auch für die geplanten Ausgangssperren.

Ich halte tatsächlich nicht viel davon. Ausgangssperren sind vielleicht in Hamburg oder Berlin sinnvoll. Aber hier auf dem Land? Wo alles so dünn besiedelt ist? Allein das zeigt, wie wenig sinnvoll bundesweit einheitliche Coronaregeln sind. Dazu kommt: Wer soll die Ausgangssperren kontrollieren? In ländlich geprägten Flächenlandkreisen ist das kaum möglich. Wenn man eine Maßnahme nicht durchsetzen kann, dann verzichtet man besser gleich auf sie. Sonst macht sich der Rechtsstaat auch lächerlich. Dasselbe gilt, finde ich, auch für Treffen in privaten Haushalten. Dann lieber kontrolliert und mit Abstand im Biergarten zusammenkommen als unkontrolliert in privaten Haushalten.

Bei den aktuellen Inzidenzwerten sieht es bei Ihnen allerdings nicht nach Biergarten aus. Wären Sie jetzt gerne eine Modellregion?

Wenn Öffnungen von Restaurants und Geschäften künftig wirklich erst ab dem Wert 100 möglich sind, dann ist das in weiter Ferne. In ganz Thüringen übrigens. Ich glaube aber, dass solche regionalen Modelle wichtig sind. Um zu sehen, was geht und was nicht geht. In unserem Kreis wollte unsere Kreisstadt Meiningen als Kulturhochburg Südthüringens auch mit einem durchdachten Hygiene- und Testkonzept öffnen, wurde aber abgewiesen. Das ist schade, alle Beteiligten haben sich sehr viel Arbeit gemacht.