ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL
: Eine Zwiebel? Eine Zwiebel.

Wie wir es uns letztlich endgültig mit unseren Nachbarn verdorben haben

Wer sucht eine Zweizimmerwohnung mit Stuck, Parkett, Zentralheizung für unter 500 Euro? Ich kenne eine freie. Bevor Sie den Vermieter anrufen, sollten Sie allerdings zwei Dinge wissen:

1. Die Nachbarn sind ein bisschen schwierig.

2. Das sind nämlich wir.

Auf den ersten Blick wirken wir ganz harmlos. Eine kleine Familie, deren erwachsene Mitglieder sogar der regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgehen. Außerdem haben wir keinen türkischen Nachnamen. Als wir vor vier Jahren einzogen, waren die Nachbarn begeistert.

Da hatten sie noch keine Ahnung, wie wir wirklich sind. Ganz schlimm nämlich.

Alles begann, als meine Freundin – die schamlose Person – eines Tages einfach so an der Wohnungstür gegenüber klingelte. Es war 18 Uhr 45, also wirklich zu nachtschlafender Zeit. Sie sah, wie jemand durch den Spion guckte. Sie wartete. Sie sah, wie noch einmal jemand durch den Spion guckte. Sie klingelte noch einmal. Wieder regte sich etwas hinter dem Spion. Meine Freundin klopfte und rief: „Huhu, ich bin’s, Ihre Nachbarin. Ich sehe, dass Sie hinter der Tür stehen, können Sie bitte aufmachen?“

Die Tür öffnete sich einen schmalen Spalt und eine Stimme wisperte: „Was wollen Sie?“

„Eine Zwiebel.“

„Eine Zwiebel?“

„Ja, mir fehlt eine Zwiebel zum Kochen. Könnten Sie mir vielleicht eine borgen? Das wäre furchtbar nett.“

Der Türspalt schloss sich. Meine Freundin stand verdattert davor. Gerade wollte sie sich zum Gehen wenden, da öffnete sich die Tür erneut. Tonlos wurde eine kleine Zwiebel herausgereicht.

Eigentlich wirken unsere Nachbarn ganz normal. Die beiden verlassen morgens das Haus, gehen also einer regelmäßigen Arbeit nach und haben keinen türkischen Nachnamen. Das Kind ist vielleicht ein klein bisschen still. Nach einigen Recherchen konnten wir das Nahe- und Fernliegende ausschließen. Er scheint sie nicht zu schlagen. Sie scheint ihn nicht zu schlagen. Sie sind keine islamistische Terrorzelle. Oder eine verdammt gut getarnte.

Vielleicht hatten wir unsere Nachbarn ja damals nur auf dem falschen Fuß erwischt. Wir hätten gerne ein kommunikatives, aufgeräumtes Verhältnis zu den Menschen in der Wohnung gegenüber. Wir könnten dann Flurputzschichten tauschen. Oder auch einmal auf deren Kind aufpassen. Vor allem könnten die auch einmal auf unser Kind aufpassen. Genug Gründe, um ihnen eine zweite Chance zu geben.

Diesmal klingelten wir beide. Und wir hatten uns auch einen plausiblen Vorwand zurechtgelegt: „Wir müssen Ihnen noch die Zwiebel zurückgeben.“

„Danke.“ Die Hand unserer Nachbarin griff die Zwiebel und schloss in der gleichen Bewegung die Tür.

„Ach, hätten Sie vielleicht eine halbe Tasse Mehl …?“, rief ich schnell. Doch zu spät. Die Nachbarin blieb jetzt in ihrer Wohnung und stellte die Stereoanlage an.

Das fanden wir dann doch wieder seltsam. Unsere Recherche wurde noch entschlossener. Ich sprach den Hausmeister an, als er den Hof kehrte. „Tja, Sie leihen sich wohl gerne mal Sachen. Wissen Sie, in diesem Haus sind viele lieber für sich.“ Er ließ mich und den halb gekehrten Hof stehen und ging.

Es sollte also an uns liegen! Wir sind die seltsamen Menschen. Wir stören die Hausgemeinschaft. Das kann nicht sein! Gilt es heutzutage als wunderlich, die Nachbarn zu grüßen und gelegentlich – ich betone: gelegentlich! – fehlende Zutaten und Gewürze auszuleihen?

Ein letzter Test sollte uns Klarheit bringen: Wir wählten diesmal den Nachbarn über uns aus. Einen Junggesellen. Ich sollte hochgehen, klingeln, mir eine Prise Salz borgen und ein Gespräch unter Männern beginnen. Das Normalste der Welt, oder? Ich klopfte. Er öffnete sofort. Und sagte, bevor ich sprechen konnte, schon: „Ich koche nie. Ich habe nichts.“ Tür zu.

Seitdem leben wir sehr für uns und vermeiden Kontakte mit den anderen Hausbewohnern. Den großen Möbelwagen neulich haben wir nur zufällig aus dem Fenster gesehen. Da wird jetzt eine schöne Wohnung frei. Aber Vorsicht, die Nachbarn gegenüber sind etwas wunderlich.

Fragen zu Nachbarn? kolumne@taz.de MONTAG: Stefan Kuzmany ist GONZO