Die Bagdadbahn

Wochen- und monatelang waren Reisende noch im 19. Jahrhundert unterwegs, um von Konstantinopel nach Bagdad zu gelangen. Es existierten kaum befahrbare Straßen, geschweige denn öffentliche Verkehrsmittel. Im Winter waren die Pässe über das Taurusgebirge meterhoch mit Schnee verweht. In Kurdistan bildeten Lokalherrscher und räuberische Banden eine Gefahr für jeden Transport.

Pläne für eine Eisenbahnverbindung entstanden deshalb schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch die Fertigstellung des Suezkanals im Jahre 1869 verhinderte deren Realisierung, bot die Schiffspassage durch das Rote Meer und um die Arabische Halbinsel herum doch nun eine preisgünstigere Alternative für den Warenverkehr. Das Finanzkapital für eine vom Osmanischen Reich erwünschte Bahnlinie kam nicht zusammen.

So blieb es in der asiatischen Türkei zunächst nur bei einigen Stichstrecken. Eine davon, die 1871 errichtete Strecke von Konstantinopel Haydarpasa nach Izmit am Marmarameer, fungierte später als Beginn der Linie nach Bagdad.

1888 war die Eisenbahnverbindung von Konstantinopel nach Europa fertig gestellt, und nur ein Jahr später begann der berühmte Orient-Express seine Fahrt von Paris zum Bosporus: 67 Stunden und 46 Minuten war man anfangs auf der 3.168 Kilometer langen Strecke unterwegs. Eine Weiterführung nach Osten erschien nun geboten, und Sultan Abdul Hamid II. machte sich für deren Bau stark. Aus eigenen Mitteln konnte das Osmanische Reich das Projekt freilich unmöglich finanzieren, denn der „kranke Mann am Bosporus“ war faktisch pleite.

Nur die Finanzierung durch die Deutsche Bank ermöglichte den Baubeginn. Am 31. Dezember 1892 war die erste Strecke der „Anatolischen Bahn“ nach Ankara fertig gestellt. Kurz darauf begann die Konstruktion der 445 Kilometer langen Strecke von Eskeshehir in Richtung Konya, des eigentlichen Schienenstrangs in Richtung Bagdad. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. machte sich bei seiner zweiten Orientreise im Jahre 1898 selbst ein Bild von der Bahn. Den Chef der Deutschen Bank, Georg von Siemens, erhob der Kaiser im folgenden Jahr für seine Verdienste in den Adelsstand. Doch erst 1903 gewannen die Deutschen die Konzession für den Bau der Bahnlinie bis nach Basra am Persischen Golf.

In Deutschland kam die Bagdadbahn nun in Mode. Romantische Vorstellungen vom Orient, gepaart mit imperialistischen Sehnsüchten nach einer größeren deutschen Rolle am Golf, machten den Bau populär. Dabei ging die Konstruktion nur sehr langsam voran. Zwar konnte 1914 die Linie von Bagdad bis Samarra dem Verkehr übergeben werden, doch erst 1918 war die Strecke bis nach Aleppo befahrbar. Dazwischen klaffte ein großes Loch. Und als Kulturträger erwies sich die Strecke schon gar nicht: Beim Völkermord an den Armeniern wurde die Bagdadbahn von den Jungtürken zum Abtransport der Menschen in die Wüste genutzt.

Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde es still um die Bagdadbahn. Die Deutschen verloren jeden Einfluss. Frankreich ließ die Strecke bis zur irakischen Grenze bauen, die Briten steuerten die Verbindung von Bagdad nach Basra bei. Erst 36 Jahre nach dem ersten Spatenstich, am 15. Juli 1940, war die Gesamtstrecke fertig gestellt.

Längst hatte das Flugzeug die Bahn bei Fernstrecken abgelöst. Doch noch 1966 schwärmte ein deutscher Reiseführer von der „sehr bequemen“ Eisenbahn im Irak, und empfahl den Taurus-Express für die Reise von Bagdad nach Istanbul („in Aleppo umsteigen“). In den 1980er-Jahren waren deutsche Firmen an der Sanierung der Strecke im Irak beteiligt. Heute, nach zwei Irakkriegen, fährt kein Zug mehr nach Bagdad. KLAUS HILLENBRAND