Auspuff gegen Antritt

Im Wettbewerb gegen eine Flotte motorisierter Stadtboten, die mit 20g-Briefen durch die Landeshauptstadt dieseln geraten die Hannoveraner Fahrradkuriere zunehmend ins Hintertreffen

aus HannoverJörg Heynlein

Es ist heiß und stickig. Rußpartikel hängen in der Luft. Und in Hannover schmilzt die Fahrradkurier-Szene auf nur noch zwei Anbieter zusammen: Das Logistik-Unternehmen City Express schließt zum 1. August seine Fahrradkurierzentrale.

Dabei hatte City Express die erst zum 1. April vergangenen Jahres dem eigenen Angebot hinzugefügt: Damals hatte das Unternehmen den alt eingesessenen Kurierdienst „velomobil“ gekauft. Nun ersetzt es die sechs Fahrrad-Boten durch Autofahrer, die sich durch das Stadtgebiet zwängen.

Eine zusätzliche Umweltbelastung für die ohnehin Feinstaub geschwängerte niedersächsische Landeshauptstadt: Bereits Anfang April erreichte Hannover als fünfte deutsche Stadt den von der EU-Kommission festgelegten Jahresgrenzwert.

„Wenn’s gut läuft, schafft ein Fahrradkurier 70 bis 80 Kilometer in einer Schicht“, weiß Myria Meinert, Mitinhaberin vom Fahrradkurierdienst Rad’z Fatz. Meinert gründete Rad’z Fatz kurz vor dem Verkauf von „velomobil“ zusammen mit drei weiteren Pedaleuren, um weiterhin eine reine Fahrradkurierdienstleistung für Hannover anzubieten.

Eine Schicht dauert fünf Stunden – so lang wie eine durchschnittliche Etappe bei der Tour de France. Zwei Schichten am Tag ergeben 150 Kilometer pro Rad. Die Luft wird dünner: Sechs Fahrer weniger bedeuten also 900 Fahrradkilometer weniger. Und umgekehrt reichern die Abgase von 1.200 Auto- oder Laster-Kilometer jetzt zusätzlich Hannovers Atemluft an. Autokuriere benötigen nämlich ein Drittel mehr Wegstrecke. Fahrradkuriere kürzen ab –durch Einbahnstraßen, Parks oder – versehentlich – auch mal Fußgängerzonen. Im Bereich bis zu 15 Kilometer sind sie im Stadtgebiet immer schneller als das Auto.

Die Kurierfahrerin Meinert tritt seit acht Jahren hauptberuflich bei Hagel und Hitze in die Pedale und bedauert, dass so wenige Unternehmen, Ämter und Behörden umweltpolitische Verantwortung übernehmen und kleine Sendungen gedankenlos von einem Kleinlaster durch die rußige Innenstadt karren lassen. Auch die Parteizentralen befördern ihre heiße politische Ware nicht mit den wadenvoluminösen Eilboten.

Rad’z Fatz beauftragt nur dann einen Autokurier, wenn’s kein Fahrrad bewältigen kann. Und das ist selten im Stadtgebiet: Selbst Lasten bis 30 Kilo werden noch locker mit einem geräumigen High-Tech-Fahrradanhänger transportiert. Bis 100 Kilo kommt das Lastenrad. Nur wenn’s ein Kühlschrank ist oder etwas nach Karlsruhe geht, rollt notgedrungen ein Auto vor. Doch Philosophie und Kern des Geschäfts sind das Fahrrad, Muskelkraft, Ausdauer und Sport an der – nun ja – frischen Luft.

Nur ein reiner Fahrradkurierdienst kann gewährleisten, dass auch ein Fahrrad kommt und kein 15 Jahre alter Kleintransporter. Und ein einziger dieser Dienste vermeidet jährlich 55 Tonnen Treibhausgas.

„Der Versuch, eine Kompetenz und ein Profil als Fahrradkurierdienst aufzubauen, fiel nicht positiv aus“, erläutert City Express-Geschäftsführer Stefan Pralle die bevorstehende Schließung der eigenen Velo-Zentrale. „Der Stadtkurierdienst ist für uns vor allem im motorisierten Bereich wichtig“. Das Fahrradkuriergeschäft hat eben seine eigenen Gesetze. Besonders in Vermarktung und Vertrieb. Das macht die Entscheidung zwar unternehmerisch verständlich. Die übrigen Fahrradkuriere bedauern allerdings, dass weitere sechs Kollegen aus dem Sattel geholt werden und gegen das Auto verloren haben. In Hannover werden sie es nicht leicht haben, wieder als Pedal-Dienstleister unterzukommen.

Es sei denn, es kommt auch in Niedersachsen zu einem politischen Umdenken. Mit gutem Beispiel geht in dieser Hinsicht das Land Nordrhein-Westfalen voran – zumindest noch: Das beim Düsseldorfer Umweltminister angesiedelte Agenda 21-Projekt „Netzwerk Fahrradkuriere NRW“ bringt die Dienste mit anderen Transport-Unternehmen zusammen. Und in seinem Rahmen diskutieren Politiker mit Fahrradkurieren und Verkehrsexperten über ökologisch optimierte Transportwege. Möglich wäre es also schon, der stinkenden Blechlawine etwas entgegen zu setzen. Auch in Hannover.