Hier lässt sich kein Geld verdienen

Marc van der Kemp hat im Neuköllner Sowieso Improvisationsmusik eine Bühne gegeben, aber nie Gema-Abgaben bezahlt. Der Fall – nun vor dem Landgericht Berlin – macht die Probleme kleiner Veranstalter deutlich

So geht es im Sowieso während einer Live-Improvisation zu Foto: Marc van der Kemp

Von Jens Uthoff

Zu Zeiten, in denen Berlin noch voller Livemusik war, war das Sowieso eine verlässliche Adresse für abgefahrene und unkonventionelle Klänge. Seit 2008 existiert der beschauliche Kulturort in der Weisestraße, oft fanden dort monatlich 10 bis 20 Konzerte mit improvisierter Musik statt. Lange bevor Neukölln zum international gehypten Freejazz-Hotspot wurde, hatte das Sowieso der experimentellen Szene einen Raum gegeben.

Am Laufen gehalten wurde das Sowieso jahrelang von dem niederländischen Künstler Marc van der Kemp, der auf den spartanisch eingerichteten circa 30 Quadratmetern mit dem winzigen Bühnensegment immer neue, oft spontan zusammengewürfelte Ensembles auftreten ließ. Um Geld ging es ihm dabei sicher nicht, denn mit diesem Sound lasse sich kein Geld verdienen, sagt Van der Kemp. „Das ist Musik, vor der viele Leute weglaufen“, erzählt der 58-Jährige am Telefon über die schrägen Klänge, die im Sowieso mit Kontrabässen und Klavieren, mit Schlagzeugen, Saxofonen und Synthesizern erzeugt wurden.

Geld, und zwar nicht zu knapp, schuldet er hingegen der Gema. Denn Van der Kemp hat seit Bestehen des Clubs bis 2018 keine Gema-Gebühren gezahlt, heute belaufen sich die Forderungen der Verwertungsgesellschaft laut Van der Kemp auf insgesamt mehr als 100.000 Euro. Davon klagt die Gema nun 22.000 Euro ein – offene Beträge, die die Jahre 2013 bis 2018 betreffen. Heute findet der Prozess vor dem Landgericht Berlin statt.

Grundsätzlich ist die Gema dazu da, Gebühren für urheberrechtlich geschützte Musik einzusammeln und sie an ihre Mitglieder wieder auszuschütten. Auch Improvisationsmusik zählt dazu, denn diese Stücke gelten genauso wie bereits bestehende Kompositionen als schützenswerte Werke. Eigentlich ist in Deutschland so gut wie je­de*r Ver­an­stal­te­r*in verpflichtet, Abgaben an die Verwertungsgesellschaft zu zahlen. Sobald ei­ne*r der auftretenden Künst­le­r*in­nen Gema-Mitglied ist, ist eine Veranstaltung ohnehin Gema-pflichtig; wenn nicht, kann die sogenannte Gema-Vermutung gelten, nach der davon ausgegangen wird, dass bei Musikveranstaltungen Gema-Repertoire zur Aufführung oder Anwendung kommt.

Im Fall des Sowieso hat die Gema pauschal zwischen 21,80 und 23,30 Euro pro Konzertabend berechnet (durch Mahnzuschläge hat sich der Betrag verdoppelt). Also eigentlich keine Unsummen, aber für einen kleinen Kulturort mit zeitweise täglichen Konzerten schon ein Posten. Doch es handelt sich um Geld, das den auftretenden Künst­le­r*in­nen zugutekommt und ihnen zusteht (die Verteilungspraktiken und undemokratischen Strukturen der Gema stehen auf einem anderen Blatt).

Van der Kemp sagt, er habe sich als jemand begriffen, der den Raum zur Verfügung stelle und ihn verwaltet habe, als dass er sich selbst als Veranstalter gesehen hätte. „Die Mu­si­ke­r*in­nen haben mich gefragt, an welchen Tagen der Laden frei sei und wann sie ihn buchen könnten. Die Termine wurden nach dem Motto ‚Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‘ vergeben.“ Werbung für die Veranstaltungen habe er nicht gemacht. Das Sowieso sei lediglich für den Zeitraum der Konzerte sowie kurz davor und danach geöffnet gewesen.

Einnahmen erzielte er zum einen durch Getränkeverkäufe, zum anderen dadurch, dass er zuletzt 20 bis 30 Prozent des Eintrittsgelds (meist zwischen 5 und 10 Euro) einbehielt. Das Geld verwendete er für Miete, Unkosten und einen Monatslohn von 500 Euro netto, den er für sich abgerechnet hat, bei oft 40 bis 50 Stunden Arbeit pro Woche. Den unkommerziellen und selbstausbeuterischen Charakter des Sowieso will wohl auch niemand in Abrede stellen – nur entbindet einen das eben nicht von der Pflicht, Gema-Abgaben zu zahlen.

Die Forderung der Gema beläuft sich auf insgesamt mehr als 100.000 Euro

Dass sich die Forderungen auf eine so horrende Summe belaufen, liegt vor allem daran, dass Van der Kemp das Problem nicht früher angegangen ist. Unterstützungsangebote seitens einzelner Leute aus der Szene hat es wohl gegeben. Einen laxen Umgang mit dem deutschen Urheberrechtssystem muss er sich entsprechend vorwerfen lassen. Andererseits sind seine Verdienste um den Ort und für die freie Szene Berlins unbestritten. Vorsätzlich prellen wollte er sicher auch niemanden.

Den Kulturort Sowieso hat inzwischen ein neues Be­trei­be­r*in­nen­kol­lek­tiv übernommen, Van der Kemp hat es an „WieMusik e.V.“ übergeben. WieMusik besteht aus sieben Musiker*innen, die selbst häufig im Sowieso aufgetreten sind. Während der Pandemie erhielten die neuen Be­trei­be­r*in­nen Sonderhilfen des Landes Berlin, mit denen sie die Miete und die laufenden Kosten zahlen können.

„Uns geht es darum, diesen Ort am Leben zu halten“, sagt Brad Henkel von WieMusik. „Berlin hatte vor der Pandemie eine so wahnsinnig gute Infrastruktur, was kleine Clubs und Veranstaltungsorte betrifft – ich sorge mich darum, was daraus nach Corona wird.“

Zwar ist die Causa Gema versus Sowieso/Van der Kemp ein spezieller Einzelfall, zu denken geben kann er dennoch. Zeigt er doch, in welchen prekären Strukturen Kulturproduktion oft stattfindet und dass es gar nicht genug Unterstützung gerade für internationale Kulturschaffende geben kann, um es nicht so weit kommen zu lassen. Wie man Veranstaltungsorten, die sich die Gema kaum leisten können, unter die Arme greift, das macht übrigens Hamburg vor: Dort werden mit einem Programm namens „Live Concert Account“ die Gema-Kosten der Clubs übernommen. In Krisenzeiten und in einer Stadt, in der es unkommerzielle Kulturorte en masse gibt, wäre ein solches Modell zumindest bedenkenswert.