Hysterie mit Schmalzschnitten

Der Jahresrundgang an der Universität der Künste besticht vor allem durch seine Wühligkeit: Die jüngsten Kunstprodukte der Studenten buhlen zwischen Drinks, Eltern und sogar einigen Galeristen um Aufmerksamkeit

Am Donnerstagmorgen, kurz vor der Eröffnung des alljährlichen Rundgangs an der Universität der Künste, sind die Klassenräume noch wüst und ungefegt. Gerade wird das Bier für den Abend angeliefert, und bei jedem zweiten Schritt hat man Tesakrepp am Schuh. Letzte Werke werden noch hastig am Pförtner vorbeigeschmuggelt, um sie ohne Absprache mit dem Raumkoordinator fix in die Flure zu hängen.

Vital zeigen sich die UdK-Studenten in diesem Jahr vor allem beim Unterlaufen institutioneller Absprachen. Auch die Autorität von Daniel Richter, dem neuen Vorzeigemalereiprofessor, der sich vor dem Studentenansturm kaum retten kann, gilt jetzt nichts mehr: Klug hatte er seinen 50 Studenten ein Ausstellungsverbot erteilt – aus Platzgründen. Seine Schüler aber halten sich nur bedingt an diese Abmachung. Im beengten Klassenraum wird also nicht nur ausgeschenkt, sondern doch auch ausgestellt – sehr zum Entsetzen derer, die das Machtwort des Meisters respektierten.

Es ist lustig anzuschauen, wie die Bemühungen um Professionalisierung und marktgängige Klarheit karikiert werden von der begeisterten Hänge- und Installationswut der Studenten. Sie sorgen für wühlige Unordnung, beschweren sich im selben Zug aber über die krachende Nachbarschaft. Denn jeder hier weiß: Je geordneter der öffentliche Auftritt, desto größer die Chance auf Verkauf. Die Karriere eines UdK-Studenten kann ohne weiteres im vierten Semester beginnen. Das ungeschriebene Gesetz von der Schonzeit für junge Studenten ist in allgemeinem Einvernehmen abgeschafft, frühzeitiger Erfolg ist allen Wunsch und Wille.

So zappeln am Abend tausend Studenten überhitzt, nervös und betrunken über die Flure des Hauptgebäudes an der Hardenbergstraße. Zwei Straßen weiter geht es weniger hysterisch zu: Die Studierenden der angewandten Künste bekennen sich zu ihrer Kundenorientiertheit. Und wenn sich die Keramikdesigner verrechnen mit dem vertrackten Faktor 17, um den Porzellan beim Brennen schrumpft, führt das bei ihnen einfach zu übergroßen Tassen – und nicht wie bei den freien Künstlern zur Vergötzung produktiver Missverständnisse. Die „Angewandten“ scheinen – auch das ein augenfälliger Unterschied zu ihren artistischen Kollegen – an diesem Abend auch nicht herausfinden zu wollen, wann irgendwelche wichtigen Leute draußen in der Welt Geburtstag haben, um beim Absetzen einer Glückwunschadresse endlich mal ins Gespräch zu kommen.

Am schönsten und beruhigendsten an diesem wild bewegten Panorama, das sich dem Besucher beim Rundgang bietet, sind die verwirrt an Schmalzbroten kauenden Eltern, die überall auf dem Gelände hocken. Sie zeigen wahre und dauerhafte Anteilnahme an ihren schwitzenden kleinen Künstlern, völlig unabhängig von der Konjunktur.

In der Eingangshalle präsentieren die Meisterschüler ihre Arbeiten. Es gibt neben aufwändigen Videoinstallationen sehr viel Malerei zu sehen: Eine Absolventin zeigt leer gefegte Bildflächen, einziges ironisches Motiv darauf eine junge Frau, die fürsorglich einem auf ihrer Hüfte sitzenden Kleinkind rote Streifen auf das Hemd malt.

Auf dem diesjährigen Rundgang bekommt man den Eindruck, dass tatsächlich nur eine Schwangerschaft den unbedingten Markteinstiegswunsch der Studenten noch bremsen kann: Das Career Center der Hochschule wirbt im ganzen Haus mit massiver Zettelwirtschaft, und am Abend werden dann auch tatsächlich wirkliche Sammler und Galeristen gesichtet. Der Verkauf der frühreifen Studentenkunst ist ein lukrativer Nebeneffekt des Rundgangs geworden.

NORA SDUN

UdK-Rundgang: heute 11–20 Uhr, morgen 11–22 Uhr, Hardenbergstr. 33