die woche in berlin
:

Hertha setzt ein Zeichen und schmeißt den Torwarttrainer raus. Wieder werden Menschen per Sammelabschiebung nach Afghanistan geflogen – Hunderte stellen sich dem am Berliner Flughafen entgegen. Und auch nach Einsicht in Teile des offiziellen Schriftverkehrs bleiben Fragen nach der Räumung des Camps an der Rummelsburger Bucht

Torwarttrainer rechtsaußen rausgeworfen

Diskriminierende Aussagen: Hertha trennt sich von Personal

Am Ostermontagmorgen war die Welt von Herthas Torwarttrainer Zsolt Petry noch in Ordnung. Dann veröffentlichte die rechtskonservative ungarische Zeitung Magyar Nemzet ein Interview mit ihm, in dem er kritisierte, dass Péter Gulácsi, Torhüter bei RB Leipzig und der ungarischen Nationalelf, sich öffentlich für die Rechte von Regenbogenfamilien eingesetzt hatte. Und wo er schon dabei war, zog er auch gleich noch über die europäische Migrationspolitik her, die „erschreckend viele Kriminelle“ hierher gebracht habe. Am Dienstagmittag war er arbeitslos.

Hertha BSC begründete den Rauswurf damit, dass Petrys Aussagen den Werten des Vereins wie Vielfalt und Toleranz widersprechen, und bekam dafür von Fans und Stadtgesellschaft nahezu durchweg Zustimmung. In der Tat muss man sich fragen, wie jemand, der offenbar ein solches Problem mit Migration und Mi­gran­t*in­nen hat, mit einem Team arbeiten soll, in dem drei Viertel der Spieler nicht aus Deutschland stammen oder eine Migrationsgeschichte haben. Ohne Migranten könnte Hertha derzeit nicht einmal eine komplette Mannschaft auf den Platz schicken.

Man sollte jedoch auch festhalten, dass Petry selbst sich nicht explizit homophob geäußert hat. Er hat lediglich festgestellt, dass die Mehrheit der Un­ga­r*in­nen anderer Meinung sei als Gulácsi. Und damit hat er recht. Bei der letzten Wahl 2018 gingen fast zwei Drittel der Stimmen an die rechte Partei Fidesz von Ministerpräsident Orbán oder an die extrem rechte Partei Jobbik. Damit haben zwei Drittel der Un­ga­r*in­nen für Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Homo- und Transfeindlichkeit gestimmt.

In Viktor Orbáns Ungarn steht Zsolt Petry, der sich selbst als „Vertreter der na­tionalen Seite“ bezeichnet und in der europäischen Migrationspolitik einen „Ausdruck des moralischen Niedergangs“ sieht, der eine Rückbesinnung auf „nationale Werte“ fordert und gegen „die Liberalen“ wettert, nicht am rechten Rand – sondern ziemlich genau in der Mitte der Gesellschaft.

Petry sagt auch, Gulácsi hätte sich als Sportler nicht zu politischen Themen äußern sollen. Er hätte das nicht gemacht, sagt er. Nur um dann minutenlang doch genau das zu tun. Aber wahrscheinlich glaubt er, was er sagt, sei gar nicht politisch. Immerhin sagt er nichts, was nicht ein Großteil der Un­ga­r*in­nen genauso, wenn nicht weit krasser, sagen würde. Ein geschlossen rechtes Weltbild ist in Ungarn nach zehn Jahren Orbán längst weitgehender Konsens.

Wenn wir nicht morgen in einer illiberalen Demokratie ungarischen Zuschnitts aufwachen wollen, müssen wir heute zu unseren Überzeugungen stehen und sie auch verteidigen. Oder um es mit einer Plakatkampagne von Hertha BSC zu sagen: In Berlin kannst du alles sein – außer Rassist! Jan Tölva

Die Politik hat Handlungs­spielraum

Brandenburg organisiert Abschiebung: Niemand schuld?

Nur ein Zaun und ein paar eilig vor dem Terminaleingang geparkte Polizeiautos trennt am Mittwochabend die Demo am Ende von dem Abschiebeflugzeug. Es ist die erste von Brandenburgs rot-schwarz-grüner Koalition organisierte Sammelabschiebung nach Afghanistan. Mit eigenen Augen sehen die De­mons­tran­t*in­nen am BER, wie ein Mensch nach dem anderen in das Flugzeug gebracht wird, das kurz darauf losfliegt. Ziel: Kabul, Hauptstadt eines der gefährlichsten Länder der Welt. „Schämt euch, schämt euch“, schallte es wütend aus der Demo in Richtung der beteiligten Polizist*innen. Scham und Wut mögen auch De­mons­tran­t*in­nen selbst empfunden haben darüber, dass die Behörden aus der eigenen Gesellschaft heraus Menschen in sichere Lebensgefahr und einen möglichen Tod schicken und dass die am Rand der Demonstration unternommenen Blockadeversuche gescheitert sind.

Beschämend wirken auch Versuche aus der Politik, die Verantwortung für die Abschiebung von sich zu weisen. Ganz besonders von Parteien in Regierungsverantwortung, die eigentlich für den Schutz von Menschen eintreten wollen. „Es macht in dem Fall leider wenig Unterschied, ob die Abschiebung von Brandenburg oder aus einem anderen Bundesland organisiert wird“, sagte etwa Brandenburgs Grünen-Chefin Julia Schmidt bei Radioeins. „Die Entscheidung, dass abgeschoben wird, trifft der Bund“, der entscheide auch darüber, welches Bundesland wie viele Menschen abschiebt. Weiter sagte sie: „Wir stellen das Flugzeug, aber wir können als Land leider nicht entscheiden, dass wir nicht nach Afghanistan abschieben wollen.“

Doch das ist falsch. Wer Verantwortung hat, hat auch Ermessensspielraum. Die Ausländerbehörden in den Kommunen stehen unter Aufsicht des Landes, Brandenburgs Innenministerium kann Anwendungshinweise erlassen, die die konkrete Umsetzung der Aufenthaltsgesetze regeln. Aus Baden-Württemberg gibt es ein Gerichtsurteil, das Abschiebungen nach Afghanistan dort derzeit verbietet – darauf könnten sich auch andere Bundesländer berufen.

Selbst bei der Bereitstellung eines Flugzeugs gibt es Spielräume: Brandenburg beauftragte damit eine Charterfluggesellschaft – bei denen ist es sehr viel unwahrscheinlicher als bei Linienflügen, dass der*­die Pi­lo­t*in und die Crew sich weigern, an der Abschiebung mitzuwirken. Und schließlich – wenn die Politik es schon nicht selbst verhindern will – hätten ein paar mehr Informationen im Vorfeld darüber, wie die Menschen zum Flughafen gebracht werden, der Zivilgesellschaft vielleicht dabei geholfen, das Boarding oder den Flug tatsächlich zu blockieren. Uta Schleiermacher

Aus Baden-Württemberg gibt es ein Gerichtsurteil, das Abschiebungen nach Afghanistan dort derzeit verbietet – darauf könnten sich auch andere Bundesländer berufen

Uta Schleiermacher über die von Brandenburg in dieser Woche organisierte Sammelabschiebung nach Afghanistan

Keine geheimen Deals, aber zynisches Kalkül

Rummelsburger Bucht: Papiere zu Räumung offengelegt

Kleiner Rückblick auf Anfang Februar: Die kälteste Woche des Winters steht bevor, die Temperaturen sinken weit in den Minusbereich und massiver Schneefall kündigt sich an. In einer überraschenden Hauruckaktion beschließt der Bezirk Lichtenberg, das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht zu evakuieren. Die nächtliche Evakuierung bedeutete gleichzeitig das Ende des Camps, indem geschätzt hundert Menschen wohnten. Schon am nächsten Tag rückten die Bagger an, um das Camp dem Erdboden gleichzumachen. Hat der Bezirk Lichtenberg auf Drängen der Eigentümerin Coral World, die auf dem Grundstück ein Aquarium errichten will, das Camp geräumt?

Der zuständige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Soziales, Kevin Hönicke, verneint vehement, dass es im Vorfeld der Räumung Deals oder geheime Absprachen mit Coral World gegeben hätte. Auch bekräftigt er, dass es sich nicht um eine Räumung, sondern lediglich um eine Evakuierung des Geländes gehandelt habe. Für die Räumung, wie Hönicke immer wieder betonte, war allein die Grundstückseigentümerin Coral World verantwortlich.

Um die Vorwürfe zu entkräften, hat Hönicke einen Teil des offiziellen Schriftverkehrs auf Anfrage der taz in dieser Woche zukommen lassen. Auch wenn Einsicht in die Akten weitere Erkenntnisse bringen könnte, ist es wahrscheinlich, dass er recht behalten könnte: Keine geheimen Deals. Und aus rein rechtlicher Sicht war die Evakuierung keine Räumung.

Doch die Dokumente zeigen auch, mit welch zynischem Kalkül die Entscheidung zustande kam. Nur wenige Wochen zuvor forderte Coral World den Bezirk auf, die Fläche zu räumen. Hönicke muss also bewusst gewesen sein, dass eine Evakuierung auch das Ende des Camps bedeuten würde. Der Bezirksstadtrat selbst forderte Coral World am Morgen nach der Evakuierung dazu auf, einen Bauantrag zu stellen und zu verhindern, dass wieder Menschen auf das Gelände kommen.

Dass das Camp irgendwann geräumt werden musste, war auch den Be­woh­ne­r*in­nen klar. Die meisten hätten sich sicherlich neue Orte gesucht, hätte man ihnen rechtzeitig Bescheid gesagt. Doch der Bezirk fürchtete womöglich die unschönen Bilder, die entstanden wären, hätte man mit Polizeigewalt Obdachlose für den Bau einer sinnlosen Touristenattraktion wegprügeln müssen.

Der Wintereinbruch war hingegen ein willkommener Anlass, eben weil er nicht nur ein vorgeschobener Grund war, sondern eine reale Gefahr darstellte: ein Feuer oder massive Schneemassen hätten verheerend in dem Camp sein können. So konnte sich der Bezirk am Ende noch als Wohltäter präsentieren.

Die großen Ver­lie­re­r:in­nen dieses Spiels sind die ehemaligen Be­woh­ner:in­nen. Kaum einer von ihnen wurde rechtzeitig informiert, viele erfuhren erst nachts von der Räumung, als sie von der Polizei nicht mehr auf das Gelände gelassen wurden. Etliche verloren nicht nur ihr Zuhause, sondern auch das wenige an Eigentum, was sie über die Jahre im Schutze des Camps zusammensammeln konnten: Zelte, Planen, Isomatten, Gaskocher und persönliche Erinnerungsstücke. Verantwortung dafür übernommen hat der Bezirk bis heute nicht.

Jonas Wahmkow