„Teufelskreis der Verbrechen sprengen“

Serbiens Präsident Boris Tadić fordert von seinen Landsleuten, das Massaker von Srebrenica zu verurteilen, um so den Teufelskreis der Gewalt zu beenden. Für das Kosovo laute die Lösung: mehr als Autonomie und weniger als Unabhängigkeit

INTERVIEW ANDREJ INVANJI

taz: Warum ist es für Serbien so schwer die Vergangenheit zu bewältigen?

Boris Tadić: Weil wir auf dem Balkan leben und hier durch die Jahrhunderte alles im Zeichen einer Spirale des Bösen steht. Ich versuche durch eine Vision dieser Region, ihres Platzes in Europa und der Rolle aller hier lebenden Völker in der europäischen Gemeinschaft endlich Schritte in die Zukunft zu machen.

Warum ist eine explizite Verurteilung des Verbrechens in Srebrenica, die Sie und ihre Demokratische Partei vorgeschlagen haben, im serbischen Parlament gescheitert?

Weil andere Parteien wollten, dass man anlässlich des zehnten Jahrestags des Verbrechens in Srebrenica gleichzeitig auch auf alle anderen, an Serben begangene Verbrechen hinweisen sollte. Ich war dagegen der Meinung, dass wir Serben mit dem größten einzelnen Verbrechen der hinter uns liegenden Kriege beginnen, uns mit ihm konfrontieren, ohne wenn und aber verurteilen und so den Teufelskreis der Verbrechen sprengen sollen.

Wie sehen Sie die Lösung der Frage des Kosovo?

Mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit, das ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen können. Wir müssen im Kosovo eine kreative Politik führen. Denn auf dem Balkan funktionieren übliche politische und rechtliche Lösungen oft nicht. Das sieht man in Bosnien und Herzegowina, der Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro sowie Mazedonien.

Was heißt „weniger als Unabhängigkeit“ für Kosovo?

Das heißt keine Souveränität und keine eigenen Streitkräfte des Kosovo. Doch ohne die Absicht Belgrads, das politische Leben der Albaner im Kosovo irgendwie zu beeinflussen. Für uns sind institutionelle Beziehungen mit den im Kosovo lebenden Serben und der Schutz der christlichen Kultur wesentlich. Die Lage der Serben im Kosovo ist tragisch, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Sie leben in Ghettos, genießen keine Menschenrechte. 95 Prozent der serbischen Bevölkerung im Kosovo ist arbeitslos. Doch auch 63 Prozent der Albaner haben keinen Job. In einer so katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Lage blüht natürlich das organisierte Verbrechen. Deshalb ist eine Lösung der Kosovo-Frage ohne Zugang zu europäischen Entwicklungsfonds nicht möglich. Die Souveränität des Kosovo ist aber für Belgrad absolut inakzeptabel, weil sie einen Dominoeffekt und neue Turbulenzen auf dem Balkan auslösen und Serbien destabilisieren würde.

Wollen Sie sich mit dem Präsidenten des Kosovo treffen?

Jederzeit. Ibrahim Rugowa müsste mich nur zwei Stunden vorher benachrichtigen, und ich komme sofort nach Priština. Es wäre sehr bedeutend, dass wir als Vertreter unserer beiden Völker zeigen, dass wir in der Lage sind, über konkrete Probleme zu reden, uns die Hand zu reichen, und eine Stimmung schaffen, die zur Versöhnung zwischen Serben und Albanern beiträgt.

Kosovo soll also nicht selbstständig werden. Wird Montenegro, das im Januar ein Referendum über die Unabhängigkeit ausschreiben wird, ein souveräner Staat?

Montenegro ist praktisch schon selbstständig. Belgrad hat gar keinen Einfluss auf die Wirtschaft, das politische System, Verfassung und andere Fragen in Montenegro. Ich bin jedoch der Meinung, dass die formale Unabhängigkeit Montenegros die Region destabilisieren würde. Auf der anderen Seite wäre eine in europäische Sicherheitsstrukturen fest integrierte Staatengemeinschaft Serbien und Montenegro durch ihre geostrategische Lage ein starker Stabilisierungsfaktor auf dem Balkan. Darüber werden aber die Bürger Montenegros entscheiden.