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berliner szenenPuppen bitte nicht berühren

Schon von weitem sieht man die Demonstration vor dem Brandenburger Tor. Etwa 100 Menschen stehen locker gruppiert auf dem Pariser Platz. Im Näherkommen fällt ihre einheitliche Kleidung auf: rot-weiß gemusterte Einteiler. Ausnahmslos alle sind sehr schlank, manche dehnen sich. Vielleicht doch eher eine öffentliche Ballettprobe.

Weder noch, hier stehen Schaufensterpuppen; überwiegend weibliche Figuren, zwei, drei männliche, wenige Kinder. Sie sind vollständig eingewickelt in rot-weißes selbstklebendes Flatterband. Einigen fehlt ein Arm, andere stehen auf einem Bein. Ein Passant greift zum Infoblatt, nachdem er sich korrekt am Desinfektionsspender bedient hat. Er übersetzt seinem Begleiter, dass diese Kunstaktion auf die Veränderungen durch Corona aufmerksam machen soll. Nichts sei mehr übrig geblieben von Mode und Vergnügen, für die die Puppen noch vor einem Jahr standen.

Die meisten, die vorbei­spazieren, sehen das Ganze eher als Spektakel. Kinder auf Rädern fahren Slalom zwischen den Figuren, einige spielen Fangen, die Eltern fotografieren. Das Brandenburger Tor hat gerade ausgedient als Kulisse.

Auffällig ist, dass sich nicht eine Frau neben den Puppen fotografieren lässt. Offensichtlich will keine mit diesen Topmodel-Maßen in Verbindung gebracht werden. Das geht vielen Männern anders. Obwohl Schilder darum bitten, die Puppen nicht zu berühren, suchen einige den direkten Kontakt. Einer posiert: Sonnenbrille auf der Nase, Sonnenbrille in die Haare geschoben oder am Bügel gedreht, Hüfte vor, Hüfte zurück und jetzt lässig den Arm um die Taille der Puppe gelegt. Hat er gesehen, dass auch ihr Kopf vollständig verklebt ist? Weiß er, wie er aussieht neben einer Puppe ohne Gesicht? Egal. Look at me!

Claudia Ingenhoven

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