Tote gegeneinander gerechnet

Bremer Epi­de­mio­lo­g*in­nen richten sich nach dem Teilstopp für den Astrazeneca-Impfstoff Vaxzevria an die Bundeskanzlerin: Angesichts vieler Coronatoter rechtfertige die seltene Nebenwirkung die Entscheidung nicht

Angesichts des Stopps von Astrazeneca-Impfungen bei Personen unter 60 Jahren warnen Bremer Epi­de­mio­lo­g*in­nen vor den Folgen einer verlangsamten Impfkampagne. In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern sieben Professor*in­nen des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) „ein Abwägen des Schadens durch eine seltene Nebenwirkung gegen den Schaden durch eine Verzögerung der Impfkampagne“. Die Verzögerung nämlich forderte wöchentlich rund 1.000 Menschenleben. Die Tendenz sei mit Blick auf anziehende Inzidenzwerte und eine wachsende Ausbreitung gefährlicher Virusmutationen steigend.

Laut Paul-Ehrlich-Institut waren bis vergangenen Montag 31 Fälle einer Sinusvenen­thrombose nach Impfung mit dem Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca erfasst worden, neun Personen starben. Sieben davon waren Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren. Bund und Länder hatten daher beschlossen, Astrazeneca-Impfungen auf Menschen über 60 Jahren zu begrenzen.

In Deutschland sei bei zwölf von einer Million Astrazeneca-Empfängern eine Sinusvenenthrombose aufgetreten, heißt es in dem Schreiben der Bremer Forscher. Von einer Million Geimpften seien drei Menschen an der Komplikation gestorben. Für die gesamte Altersgruppe der 35- bis 54-Jährigen sei somit mit etwa 77 Todesfällen durch eine Hirnvenenthrombose zu rechnen. Dem stünde gegenüber, dass allein im März 155 Todesfälle durch Corona für dieselbe Altersgruppe zu erwarten seien. Über alle Altersgruppen gerechnet würden Corona-Infektionen im selben Monat rund 4.000 Menschenleben fordern.

In der jetzigen Lage sei es „sehr kritisch, einseitige Entscheidungen zu treffen, die nur auf mögliche seltene Nebenwirkungen fokussieren, auch wenn diese Schicksale tragisch sind und man sie vermeiden möchte“, betonen die Epidemiolog*innen. Es müsse alles daran gesetzt werden, die Impfkampagne zu beschleunigen. (epd)