die woche in berlin
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Die Grünen positionieren sich im Wahlkampf, die Politik sucht Positionen zur Pandemie, wozu die eigentlich angesagte Notbremse momentan nicht zählt, und in die Frage um die Benin-Bronzen ist so gehörig Schwung gekommen, dass die Bronzen Berlin wohl verlassen dürfen

Ein Wahlkampf mit der Doppelspitze

Zum Wahltermin hin heißt es vor allem Jarasch gegen Giffey

Manchmal zeigen sich die großen Unterschiede für die nahende Abgeordnetenhauswahl in kleinen Dingen. Dass sie lange Zeit Indianerhäuptling werden wollte, hat Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch beim Parteitag vergangenes Wochenende erzählt. Kaum regte sich Kritik daran – der Begriff sei rassistisch, hieß es –, übte sich Jarasch in Selbstkritik, sprach von „unreflektierten Kindheitserfahrungen“ und dass auch sie dazulernen müsse. Ihre SPD-Konkurrentin Franziska Giffey hingegen hätte mutmaßlich sinngemäß formuliert: Wenn ich etwas sage, dann meine ich das auch – und halte meinen Kurs, auch wenn mir jemand vor den Bug schießt.

Zugespitzt heißt das: Wer am 26. September auf Landesebene nach einem sehr personalisierten Wahlkampf Giffey wählt – oder korrekt: der SPD seine Zweitstimme gibt –, der bekommt auch Giffey. Die hat ihrer Partei vor ihrer Kür offen gesagt, wofür sie steht, ist auf dieser Basis zur SPD-Spitzenkandidatin gewählt worden und wird sich fortan kaum reinreden lassen. Das zeigte sich gleich nach ihrer Wahl, als einige SPDler ihr bei ihrem Topthema Clankriminalität vergeblich Steine in den Weg zu legen versuchten.

Wer hingegen Jarasch wählt, bekommt die Grünen. „Alles ist drin“ wie auf Bundesebene könnte deren nun beschlossenes Wahlprogramm lauten, weil es so breit aufgestellt ist, dass es auch bei der Industrie- und Handelskammer, nicht gerade der führende Grünen-Fanclub, durchaus nicht nur auf Ablehnung stößt.

Vom schwarz-grünen Mitregieren in Steglitz-Zehlendorf bis zu verbreiteter Sympathie fürs linksextreme Lager in Friedrichshain und Kreuzberg spreizt sich, wofür der Berliner Landesverband steht, dessen Mitgliederzahl sich in den vergangenen fünf Jahren auf 10.000 verdoppelt hat. Die Frage ist: Wer gibt am Ende den Ton an? Für die CDU war das nach dem Parteitag sofort klar. „Die Kreuzberger Grünen haben sich mit ihren radikalen Forderungen auf ganzer Linie durchgesetzt“, resümierte die CDU-Spitze und nannte die Grünen „eine grün lackierte Linkspartei“.

Jarasch ist nicht mit dem eindeutigen Anspruch angetreten, klar die Richtung vorzugeben, das letzte Wort oder die bei der SPD immer mal wieder zitierte „Beinfreiheit“ haben zu wollen. Als Denke von gestern hat sie dergleichen vielmehr bezeichnet. Brückenbauerin will sie vielmehr sein. Dass sie in Sachen Indianerhäuptling so schnell die Sicht ihrer Kritiker übernahm, bestätigte das erneut.

Das Besondere ist, dass die Grünen auf dieser Basis am 26. September eine doppelte Chance haben: Wer mit Jarasch nichts anfangen kann, der wird die Partei vielleicht wegen ihres Programms und des bundesweiten Booms wählen. Die SPD aber wird sich allein über Franziska Giffey im Roten Rathaus halten können.

Natürlich sind da auch noch andere Parteien und Spitzenkandidaten. Aber auf einen plötzlichen Boom der Linkspartei mit Klaus Lederer als Nummer eins deutet nichts hin. Und für Kai Wegner und seine CDU, die noch unter der Maskenaffäre auf Bundesebene leiden wird, gilt: So zerstritten kann Rot-Rot-Grün gar nicht sein, dass SPD und Grüne als Juniorpartner Wegner zum Regierungschef machen. Den Zweikampf Jarasch versus Giffey kann nur noch eine völlige Diskreditierung der SPD-Frau durch ihre Doktorarbeit verhindern. Stefan Alberti

Ratloses Surfen auf der dritten Welle

Keine Notbremse zu Ostern trotz steigender Infektionen

Wenn im Lexikon ein Bild von Rumeiern stehen würde, es wäre ein Gruppenfoto der Mi­nister­präsi­denten­kon­fe­renz,die zusammen mit der Kanzlerin nach zwölfstündigen Nachtses­sions irgendwelche fragwürdigen Maßnahmen beschließt, diese dann wieder zurücknimmt und dann irgendwie auch nicht mehr so recht weiterweiß. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) entschuldigt sich, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) auch. Wie es nun angesichts der dritten Welle weitergeht, weiß keiner so genau. Was jetzt eigentlich Phase ist bei der elendigen Seuche, können unsere Regierungen offenbar nicht so richtig sagen.

Klar ist nur, dass wir über die Feiertage Rumgeeiere bekommen, und zwar nicht von der Sorte, die wir uns zu Ostern wünschen würden.

Denn trotz stetig steigender Infek­tions­zahlen, nicht mehr abnehmenden Todesfällen, um sich greifender Mutationsvarianten dieses elendigen Virus, die länger und stärker ansteckend und tödlicher zu sein scheinen, tut die Politik so, als wäre nichts. Die von Berlin unlängst beschlossene Notbremse, nach der die Lockerungen von Anfang März wieder zurückgefahren werden sollten, falls der Inzidenzwert an mehreren aufeinander folgenden Tagen in der Hauptstadt über 100 liegen sollte, wird einfach nicht gezogen (er liegt seit Dienstag deutlich über 100). Stattdessen darf man mittlerweile wieder nach Malle fliegen und eimerweise Sangria saufen. Oder wie es Titanic-Autor und Screenshots-Sänger Dax Werner schön auf den Punkte brachte: „Jedenfalls schön zu sehen, dass wir es mit monatelangem Verzicht nun einigen Hunderten ermöglichen, nach Mallorca zu fliegen. Es war nicht umsonst.“

Die Büros bleiben offen, alles Private ist eingeschränkt. Gleichzeitig machen sich CDUler mit Maskendeals die Taschen voll und Impfbemühungen stocken. Man weiß gar nicht mehr, was man sagen soll, wenn man sich dieses riesige Problemknäuel anschaut. Vielleicht tut es an dieser Stelle einfach noch ein Zitat. Diesmal vom Ministerpräsidenten Bodo Ramelow aus Thüringen, das Bundesland mit den höchsten Inzidenzzahlen derzeit. Der twitterte live aus der Ministerpräsidentenkonferenz. Und zwar das einzig Sinnvolle, was sich zu der Gesamtlage derzeit sagen lässt: „ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ.“

Gareth Joswig

Klar ist nur, dass wir über die Feiertage Rumgeeiere bekommen, und zwar nicht von der Sorte, die wir uns zu Ostern wünschen würden

Gareth Joswig über die aktuelle Pandemielage und das Handeln der Politik

Die Rückreise hat endlich begonnen

Die Debatte um Rückgabe der Benin-Bronzen nimmt Fahrt auf

Sie schmückten seit dem 16. Jahrhundert den Palast des damals bereits tausend Jahre alten Reiches Benin im heutigen Südwesten Nigerias. Doch als die Briten Benin kolonisierten und der König, der Oba von Benin, sich nicht an einen Freihandelsvertrag hielt, den er hatte unterzeichnen müssen, schickte das britische Imperium im Jahr 1897 1.200 Soldaten zu einer sogenannten Strafexpedition. Die Soldaten zerstörten große Teile von Benin-Stadt, plünderten den königlichen Palast und raubten Tausende von Kunstobjekten, unter anderem an die 4.000 Bronzen, von denen etwa 1.000 über Londoner Auktionshäuser in Deutschland landeten. 440 von ihnen befinden sich bis heute im Ethnologischen Museum Berlin.

Ein Teil von ihnen sollte noch bis vor Kurzem im knapp 680 Millionen Euro teuren Prestigeprojekt Humboldt Forum im Berliner Schloss gezeigt werden, das in diesem Jahr nach und nach eröffnen soll. Und das, obwohl Nigeria kurz vor Weihnachten 2020 nochmals – zum ersten Mal geschah das in den 1930er Jahren – offiziell die Rückgabe der Bronzen gefordert hat.

Doch spätestens in dieser Woche hat die Debatte um die Bronzen dermaßen Fahrt aufgenommen, dass zumindest ihre Ausstellung in Berlin, wie sie bislang anvisiert war, immer unwahrscheinlicher wird. Noch im Dezember hatte der Intendant des Humboldt Forums Hartmut Dorgerloh auf die Frage nach der Debatte frech geantwortet, die Menschen werden ihnen „die Bude einrennen“. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Im Januar sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), dass nach Rückgaben von Bronzen im Humboldt Forum Leerstellen gezeigt werden könnten, dann ließ sich sogar der sonst so zögerliche Hermann Parzinger zitieren, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der die Bronzen formal gehören. Es müsse „zu Rückgaben kommen, da bin ich ganz sicher“, sagte er. Und schließlich reiste vor wenigen Tagen ein Mitarbeiter vom Auswärtigen Amt nach Nigeria, um dort über die Rückgabe der Bronzen zu verhandeln – und der Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) sagte, zu einem „aufrichtigen Umgang mit der Kolonialgeschichte“ gehöre „auch die Frage der Rückgabe von Kulturgütern“.

Es war also eigentlich nur folgerichtig, dass Hartmut Dorgerloh am Montag nachzog, indem er bei einem Pressegespräch nicht mehr vom Besucheransturm sprach, sondern davon, dass er noch in diesem Jahr Rückgaben von Bronzen erwarte.

Auch dank seiner Aussage sieht es allmählich wirklich so aus, als gebe es kein Zurück mehr. Am Donnerstag ließ Monika Grütters mitteilen, dass es noch im April ein Spitzentreffen zum Thema Benin-Bronzen mit den betroffenen Kulturministern der Länder und den Museumsdirektionen geben werde.

Zumindest die Berliner Bronzen, die zu den bekanntesten und wertvollsten afrikanischen Kunstwerken gehören und zu Symbolen im Streit um Rückgaben von kolonialer Raubkunst geworden sind, könnten tatsächlich endlich dorthin zurückreisen, wo sie hingehören.

Susanne Messmer