berliner szenen
: Aus dem wird mal was

In Schöneberg ist der Frühling eingezogen. Ich gehe auf der Hauptstraße spazieren und sehe zu den Häusern auf der anderen Seite. Die Fenster werden geöffnet und Kissen auf der Fensterbank bereitgelegt. Ab und zu sieht man Menschen einen Staubwedel ausschütteln. Eine Frau putzt die Scheiben. Jemand sitzt auf dem Balkon, hat sein Gesicht in die Sonne gestreckt, ein ungeöffnetes Buch im Schoß. Etwas weiter rauchen zwei aus einem geöffneten Fenster und beobachten das Treiben auf der Straße. Eine Familie hat zwei Plastikstühle auf den Bürgersteig gestellt und trinkt dort aus schmalen Gläsern dampfenden Tee. Die Kinder fahren mit den Rollern hin und her.

An der Ecke steht ein Obdachloser auf einen Einkaufswagen gestützt. Im Einkaufswagen sind Tüten und Taschen, ganz oben sitzt ein Teddybär mit blauen Augen. Ich finde das ungewöhnlich. Im Vorbeigehen sehe ich den Teddybären an und dann den Mann. Er hat ebenfalls blaue Augen, aber seine sind dunkler. Er trägt einen Bart und seine Brauen stehen ihm wie ein Dach über den Augen.

Er folgt meinem Blick zum Teddy und nickt mir zu. „Man sieht eine Familienähnlichkeit, ne?“

Ich lächle und sage: „Ja, und der Bär hat auch blaue Augen.“

Der Mann nimmt den Bären in die Hand, dreht das Gesicht zu sich und sagt: „Potzblitz, das ab ich ja gar nicht gewusst. Naja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aus dem wird mal was.“ Er lacht dröhnend. „Hast du vielleicht ein bisschen Kleingeld übrig?“

Ich krame in meiner Jackentasche und gebe ihm ein paar Münzen in den Pappbecher neben dem Bären. „Es ist nicht viel“, sage ich entschuldigend.

„Danke“, sagt er. „Nicht viel hilft trotzdem viel.“ Er guckt mich an und sagt: „Wir werden noch Philosoph, der Teddy und ich.“

Isobel Markus