Toter Geflüchteter in Gefängnis Kleve: Suizid bleibt reine Spekulation

Es gibt Zweifel am Gutachten, das die NRW-Regierung im Fall Amad Ahmad entlastet. Der Gutachter spricht von „halb-subjektiven“ Einschätzungen.

Die Tür zur Zelle 143 in der Klever Justizvollzugsanstalt

Amad Ahmad starb in Zelle 143 der Klever Justizvollzugsanstalt Foto: Markus van Offern/dpa

Düsseldorf taz | Im Fall des monatelang grundlos inhaftierten und in seiner Zelle in Kleve verbrannten Geflüchteten Amad Ahmad bleiben Ablauf und Grund des tödlichen Feuers unklar. Bei einer Befragung vor dem Untersuchungsausschuss des Düsseldorfer Landtags relativierte der von der Polizei beauftragte Brandsachverständige Guido Schweers am Dienstagabend zentrale Teile seines Gutachtens. In seinem Text hatte er geschrieben, die Umstände des Todes deuteten auf „vorsätzliche Brandstiftung vermutlich mit suizidaler Absicht“ hin.

Nun aber erklärte Schweers, seine Aussagen zur Dauer des Feuers oder der Frage, wie lange der Brand durch ein geöffnetes Fenster zusätzlich angeheizt wurde, beruhten auf „halb-subjektiven Einschätzungen aus der Ermittlungsakte“. Auch die Frage, ob technisch abklärbar sei, dass der Tod des aus Syrien stammenden Kurden Amad Ahmads tatsächlich ein Suizid war, musste der 53-jährige Gutachter verneinen: „selbstverständlich nicht.“

Zwar gehen auch die von den Eltern Amad Ahmads beauftragten Anwälte „mangels anderer Anhaltspunkte“ davon aus, dass der aus Syrien Geflohene das Feuer in seiner Zelle am 17. September 2018 selbst entzündet hat. Allerdings könnte dies auch ein verzweifelter Hilferuf gewesen sein: Mehr als zwei Monate saß der 26-Jährige da schon ohne jede Rechtsgrundlage in Haft.

Erst einen Tag vor seinem Tod am 29. September 2018 räumte die Staatsanwaltschaft Kleve ein, dass Amad Ahmad Opfer einer kaum zu glaubenden Verwechselung geworden sein soll: Informationen aus den Polizeidatenbanken Inpol und Viva waren vermischt worden.

Die Zweifel bleiben

Weil der als „hellhäutig“ beschriebene Kurde deshalb mit dem aus Mali stammenden „schwarzhäutigen“ Amedy G. verwechselt wurde, soll ein gegen den Malier vorliegender Haftbefehl gegen Amad Ahmad angewendet worden sein. Fotos, aus denen die Verwechselung wegen der unterschiedlichen Hautfarbe direkt klar wird, verglich niemand.

Der Tod Amad Ahmads, dessen Haut zu 38 Prozent verbrannt war und der nach einer Lungentransplantation im Bochumer Klinikum Bergmannsheil an „Multiorganversagen nach Verbrennungskrankheit“ starb, wurde damit zum Skandal, der zwei Minister des nordrhein-westfälischen CDU-Ministerpräsidenten Armin Laschet gefährdete: Innenminister Herbert Reul und Justizminister Peter Biesenbach, beide ebenfalls Christdemokraten, mussten schwere Fehler einräumen, gerieten massiv unter Druck.

Für Entlastung sorgte erst die Suizidthese des Brandsachverständigen Schweers, die Biesenbachs Ministerium im November 2018 präsentierte – und die den Tod des Geflüchteten als eine Art unvermeidbaren Unfall darstellte.

Doch an der Belastbarkeit des Schweers-Gutachtens bleiben nach der Sitzung des Untersuchungsausschusses Zweifel. Vor dem Ausschuss bekräftigte der Geschäftsführer des Instituts für Brand- und Löschforschung Korbinian Pasedag Vorwürfe, die er bereits vor mehr als zwei Jahren in den vom WDR produzierten Fernsehmagazinen Monitor und Westpol erhoben hat.

Selbst der Fernseher war geschmolzen

Der von Schweers geschilderte Brandablauf, nach dem Amad Ahmad etwa 15 Minuten in der nur 9,15 Quadratmeter großen brennenden Zelle ausgeharrt und erst danach das Fenster geöffnet und um Hilfe gerufen haben soll, sei technisch unmöglich. Ohne Luftzufuhr von außen „war schon nicht genug Sauerstoff im Raum, um nur die Matratze abzubrennen“, sagte Pasedag.

Zerstört wurden aber große Teile des Mobiliars des Haftraums – nach dem Schweers-Gutachten, das der taz vorliegt, verbrannte zusätzlich etwa eine als Bettunterlage dienende Sperrholzplatte. Selbst der Fernseher war danach „verschmolzen und zertropft“. Reine Spekulation sei auch die Suizidthese, erklärte vor dem Untersuchungsausschuss der Brandsachverständige Henry Portz: „Ob eine Selbstmordabsicht vorgelegen hat, kann der Brandgutachter nicht wissen.“

Unsicher bleibt damit, wann genau Amad Ahmad erstmals um Hilfe gerufen hat – und wie schnell die Mit­ar­bei­te­r:in­nen der Justizvollzugsanstalt reagiert haben. Der Untersuchungsausschuss setzt seine Arbeit mit der Befragung von Mitgefangenen, die den zu Unrecht Inhaftierten nach Hilfe schreiend am Zellenfenster gesehen haben wollen, am Mittwoch fort.

Klar sei aber, dass das „offizielle Brandgutachten durchaus Lücken“ aufweise und Ursachen jenseits der Suizidthese ausblende, kritisiert deshalb nicht nur der Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, Stefan Engstfeld. „Auf die Frage, warum Amad Ahmad das Feuer legte, gab es viel zu früh eine passende Antwort der Landesregierung – nämlich vorsätzliche Brandstiftung mit suizidaler Absicht“, sagt auch SPD-Frakionsvize Sven Wolf.

Überfällig sei besonders die Installation von Notrufknöpfen in allen Hafträumen, sagt Wolf: „Das kann Leben retten.“ Denn bis heute gibt es in Nordrhein-Westfalens Gefängnissen nur Gegensprechanlagen, die nicht deutlich machen, ob sich Inhaftierte in einer existenziellen Notlage befinden. Beim Brand von Amad Ahmads Zelle war die Gegensprechanlage durch einen anderen Gefangenen belegt.

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