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berliner szenenFeierabend vor der Haustür

Sich auf die Straße vor der eigenen Tür zu setzen im Frühling oder im Sommer gehört zu den Erinnerungen meiner Kindheit und zu meiner Heimatstadt Buenos Aires. Ich weiß nicht, ob die Leute dort das noch machen, vor allem in Coronazeiten. Doch ich nehme an, das ist auch noch 2021 Teil des Kiezlebens, vor allem in armen oder populären Bezirken, wo die Nach­ba­r*in­nen sich näher kennen. Einige bringen Klapp- oder Küchenstühle raus, andere sitzen auf Fensterbänken oder auch auf dem Boden. Dazu gehören Matetee und Kekse, später Bier aus der Literflasche oder in vorgekühlten Biergläsern, dazu Erdnüsse. Man begrüßt die Passanten, kommentiert etwas über sie oder unterhält sich mit anderen Sitzenden aufzustehen durch Hin- und Herschreien, ohne den Sitzplatz zu verlassen. Die Kinder spielen in der Nähe. Es wird gelacht und auch geschimpft, vor allem wenn es zu politischen Themen kommt.

Als ich heute nach dem Feierabend zum Späti gehe, um mir ein Bier zu holen, merke ich, dass die Luft nach Frühling riecht, und entscheide, es draußen zu trinken. Aber wo? Den Boddinplatz finde ich nicht besonders schön. Dann erinnere ich mich an diese Tradition und setze mich vor meiner Eingangstür. Ich öffne die Flasche und warte. Da kommen ein paar Menschen vorbei, vor allem mit Hunden. Sie schauen mich neugierig oder amüsiert an. Ich tausche ein paar Wörter mit einigen meiner Nachbar*innen, die sich ebenso auf dem Weg zum Späti machen. „Alles okay?“, fragen sie mich, wenn sie mich dort entdecken. Wie ruhig meine Straße ist, denke ich. Doch das es ist nicht genau, was zu meinem inneren Bild nicht passt. Die Atmosphäre fehlt mir. Da sitzt niemand außer mir, langsam wird es mir kalt. Ich trinke den letzten Schluck und gehe schnell wieder rein, bevor das Heimweh größer wird.

Luciana Ferrando

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