die woche in berlin
: die woche in berlin

Die Delegierten der AfD wählen eine Vorsitzende, mit der niemand gerechnet hat; die Lockerungen im Corona-Lockdown stehen wieder zur Debatte, und Klaus Dörr, Interimsintendant der Volksbühne, tritt nach #MeToo-Vorwürfen überraschend schnell zurück

Zwischen Hoffen, Bangen – und Impfen

Inzidenz rückt nahe an die 100, Impfen verläuft schleppend

Es sind widersprüchliche Botschaften gewesen diese Woche. Einerseits kletterten die Inzidenzzahlen beharrlich der 100 entgegen – jener Marke also, ab der in den Ländern die ersten zarten Lockerungsversuche der letzten Wochen wieder zurückgenommen werden sollen. Und dann krachte zu Wochenbeginn auch noch die Nachricht dazwischen, dass der Bund die Impfungen mit dem umstrittenen Impfstoff AstraZeneca vorerst aussetzt. In Berlin sollten damit vor allem Lehrkräfte und ErzieherInnen geimpft werden.

Keine weiteren Öffnungen vor Ostern, beschloss der Senat deshalb am Dienstag. Die Jahrgangsstufen 7 bis 9 bleiben auch kommende Woche im Homeschooling. Und einkaufen geht weiterhin nur mit Termin. Das ist das Einerseits.

Andererseits steht da die Bildungssenatorin am Mittwoch vor einem Weddinger Gymnasium und begrüßt freudestrahlend die Jahrgänge 10 bis 13, die seit dieser Woche wieder in den eingeschränkten – Kleingruppen, Maskenpflicht, Abstand – Präsenzunterricht zurückkehren durften. Mit dabei hatte Scheeres ein Paket Selbsttests fürs Pressefoto und die frohe Botschaft, dass das pädagogische Personal sich künftig auch mit den Impfstoffen von Biontech und Moderna impfen lassen kann.

Einerseits die explodierenden Infek­tions­zahlen, andererseits die Hoffnung in Form von Tests und Impfungen: Die Variablen in der Lockdown-Rechung werden komplexer. Und genau das macht auch jeden einzelnen Abwägungsprozess, die Entscheidung für ein Ergebnis, so schwierig: Wie weit öffnet man die Schulen, und wann macht man wieder alles dicht?

Eine Variable in der Lockdown-Gleichung sind die gestiegenen Testzahlen und ihr Einfluss auf die Inzidenzwerte – vermutlich ist der Effekt relativ gering, wie erste Zahlen aus den Ländern zeigen. Die nächste ist die Frage nach dem Impfeffekt: Macht es sich – etwa auf den Intensivstationen und bei der Sterblichkeitsrate – bemerkbar, dass viele Ältere die Spritze schon bekommen haben?

Schließlich ist das Unterschreiten einer Inzidenz kein Selbstzweck: Das Ziel der Übung ist immer noch, Tote und eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern. Wenn viele mildere Krankheitsverläufe die Inzidenzen nach oben treiben, kann man dann den Schwellenwert für einen neuen Lockdown auch auf, zum Beispiel, 200 hochsetzen, wie es in Brandenburg einige Kommunen tun?

Aber dann ist da wiederum die aggressive Virusmutante. In Berlin hat sich die Inzidenz bei den Fünf- bis Neunjährigen laut Coronabericht der Gesundheitsverwaltung in den 14 Tagen seit der Öffnung der Grundschulen Ende Februar mehr als verdoppelt: War man am 22. Februar bei einem Wert von 48, ist man nun bei 106.

Bleibt die Hoffnung, mal wieder. Der Hausärzteverband hat betont, man könne schneller werden beim Impfen, wenn die Praxen flexibler priorisieren dürften. Doch in Berlin läuft nur ein Modellprojekt mit wenigen Praxen. Wenn man sich bei den Inzidenzen schon nicht locker machen kann und darf, muss man es jetzt beim Impfen tun. Anna Klöpper

Ein sehr kurzer (vor-)letzter Akt

#MeToo an Volksbühne: Nach taz-Bericht gibt Intendant auf

Schneller als erwartet fiel der letzte Vorhang für Klaus Dörr an der Volksbühne. Am vergangenen Samstag hatte die taz berichtet, dass eine Gruppe von zehn Frauen – ehemalige und aktuelle Mit­ar­bei­te­r*in­nen des Theaters – dem Intendanten Machtmissbrauch und sexualisierte Grenzüberschreitungen vorwirft, darunter intime körperliche Nähe und Berührungen sowie unangemessene SMS. Am Montag trat Dörr zurück. Seine Erklärung liest sich wie ein Eingeständnis: „Für die gegen mich erhobenen Vorwürfe übernehme ich die komplette Verantwortung. Ich bedaure zutiefst, wenn ich Mit­ar­bei­te­r:in­nen mit meinem Verhalten, mit Worten oder Blicken verletzt habe.“

Laut einer ersten Prüfung der Kulturverwaltung erlauben die Vorwürfe zwar keine arbeitsrechtlichen Schritte; sie werden aber offenbar als relevant eingeschätzt. Für Dörrs schnellen Rückzug gibt es indes noch mehr Gründe. Im Sommer hätte es an der Volksbühne ohnehin einen lang geplanten Wechsel bei der Intendanz gegeben: René Pollesch wird das Haus leiten und will endlich wieder an die großen Zeiten anknüpfen, die das Theater unter Langzeitchef Frank Castorf erlebt hatte. Dafür ist es zumindest hilfreich, wenn die Vorwürfe aufgearbeitet sind.

Noch ein dritter Mann hat ein großes Interesse, dass diese #MeToo-Debatte nicht eskaliert: Kultursenator Klaus Lederer. Bereits vor seiner Vereidigung im Dezember 2016 hatte er den damaligen Intendanten Chris Dercon scharf angegangen und auf dessen Abgang, der dann im April 2018 erfolgte, hingearbeitet. Klaus Dörr war Lederers Wahl, die Volksbühne seine Herzensangelegenheit. Und im Herbst will Lederer ins Rote Rathaus einziehen, er ist Spitzenkandidat der Linken für die Abgeordnetenhauswahl. Aus der Causa Volksbühne hätte schnell eine Causa Lederer werden können.

Gebannt ist diese Gefahr noch nicht. Der Kultursenator hat zwar bei einer ähnlichen Situation in der Gedenkstätte Hohenschönhausen gezeigt, dass er auch gegen politische Widerstände bereit ist, personelle Konsequenzen durchzusetzen. Aber weiterhin steht laut taz-Recherchen im Raum, dass Lederer konkrete Warnungen wegen Dörr erhalten hatte. Der Senator bestreitet dies. Zahlreiche weitere Fragen warten noch auf Antworten. Wenn die fast genauso schnell kommen wie der Rücktritt Dörrs, wäre das für viele sehr hilfreich. Bert Schulz

kultur 16, gesellschaft

Lagerkampf eskaliert, Flügel triumphiert

Auf ihrem Parteitag rückt Berlins AfD nach rechts

Die Berliner AfD bleibt eine tief gespaltene Partei – aller Aufbruchsrhetorik des neuen Landesvorstands zum Trotz. Das sagen nicht nur kritische Jour­na­lis­t:in­nen, sondern nicht zuletzt die AfD-Mitglieder selbst. In vielen Redebeiträgen des Parteitags vom vergangenen Wochenende haben sie die tiefe Spaltung in zwei Lager beklagt. Und Besserung ist nicht in Sicht, wie der hauchdünne Wahlausgang um die Landesvorsitzende und das reflexartige Nachtreten der Unterlegenen beweisen.

Die überraschende Wahl Kristin Brinkers zur Landeschefin mit tatkräftiger Unterstützung des extrem rechten Flügels ist eine Niederlage für das vorgeblich um Mäßigung bemühte Lager um Fraktionschef Georg Pazderski und Bundesvize Beatrix von Storch. Der „Berliner Kurs“ von Pazderski sollte Regierungsfähigkeit vorgaukeln; mit der Wahl Brinkers dürfte er endgültig vorbei sein. Denn ihr Wahlversprechen ist, ausdrücklich Radikale einzubeziehen. Nur deswegen unterstützte der angeblich aufgelöste Flügel die innerhalb der AfD als liberal geltende Brinker, die seit 2016 als finanzpolitische Sprecherin im Abgeordnetenhaus sitzt.

Entsprechend ist die Präsenz des Flügels im neuen Vorstand nicht zu übersehen: Die rechtsextreme Strömung ist mit Personen wie Jeannette Auricht und Gunnar Lindemann vertreten, die in der Vergangenheit in Sachen Flüchtlingshetze der NPD in nichts nachstanden. Dass zudem führende Kader der radikalen Nachwuchsorganisation Junge Alternative, wie Vadim Derksen und Alexander Bertram, vertreten sind, dürfte auch den Verfassungsschutz interessieren.

Gleichzeitig ist das Hauen und Stechen nicht vorbei: Auch das Pazderski-Lager konnte im Vorstand Leute platzieren – etwa den alten und neuen Schatzmeister Frank-Christian Hansel. Und der Machtkampf um die Listenplätze für die Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl steht noch bevor.

Natürlich ist es für Außenstehende erfreulich, wenn sich die rassistischen Meckerrentner, wirtschaftsliberalen Sozialdarwinisten und ethnopluralistischen Nachwuchskader der AfD untereinander fetzen und diese mit sich selbst beschäftigt ist. Dennoch haben selbst die für die AfD enttäuschenden Landtagswahlergebnisse aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gezeigt: Egal, wie daneben sich die Partei in Parlamenten benimmt, sie hat mittlerweile eine Stammwählerschaft. Es ist besorgniserregend, dass die AfD trotz himmelschreiender Inkompetenz und extrem rechter Ausrichtung gewählt wird. In Berlin steht sie bei 9 bis 12 Prozent – trotz Spaltung, Mitgliederschwund und fehlenden Parteitagen.

Die neue Landeschefin Brinker hat versprochen, in kurzer Zeit mehrere Mitgliederparteitage zu organisieren. Dazu dürften nicht nur 250 von den Bezirken gewählte Delegierte kommen, sondern theoretisch alle rund 1.300 Mitglieder der AfD in Berlin. Wie Brinker trotz Corona und der zu erwartenden Gegenproteste entsprechende Räume finden will, bleibt schleierhaft.

Umso wichtiger ist es, den zivilgesellschaftlichen Druck auf die AfD aufrechtzuerhalten: Die offenen Lagerkämpfe sowie die lange Zeit ohne Parteitag haben an der Partei genagt. Das zeigt, dass Ausgrenzung eine erfolgreiche Strategie gegen die AfD ist. Nicht zuletzt deswegen mobilisiert das Berliner Bündnis Kein Raum der AfD diesen Samstag gleich zum nächsten AfD-Parteitag – allerdings zunächst für den der AfD Brandenburg in Frankfurt (Oder). Gareth Joswig

Es zeigt sich: Ausgrenzung ist eine erfolgreiche Strategie gegen die AfD

Gareth Joswig über die Entwicklung der Berliner AfD