Gemischtwarenam Wasser

Beliebtes für die Massen: Bremen bekommt diesen Sommer wieder eine „Seebühne“ an der Waterfront, betrieben vom Musicaltheater „Metropol“. Das Programm für die lauen Sommerabende ist leider auch eher lau

In jedem Fall besser: Es soll im Sommer statt Plastikschalen gepolsterte Stühle geben GmbH Foto: MTB Betriebs

Von Jens Fischer

Raus aus dem Lockdown, kräftig die Frühlingsluft eingeatmet, Corona­müdigkeit aus den Gliedern geschüttelt – und dann endlich wieder hineintoben in abendliche Live-Unterhaltung? „Ein Großteil der Veranstaltungsszene bleibt weiter lahmgelegt, das erste Halbjahr 2021 ist gelaufen, dafür wurden in Deutschland fast alle Tourneen abgeschrieben, die zur Kostendeckung mehr als 500 Besucher brauchen, nur kleine Sachen könnten noch möglich sein“, erklärt Jörn Meyer, Geschäftsführer des „Metropol“-­Theaters in Bremen.

1.400 Plätze hat die ehemalige Musicalbühne, 1999 wurde sie eröffnet und 2018 nach diversen Pleiten kurz vorm Abriss von Meyer übernommen. Vor dem zweiten Lockdown durfte er kurzfristig mal 250 Personen ins Parkett lassen, maximal. „Mit solchen Aussichten und den weiteren Beschränkungen durch die Coronaverordnungen sind wir wie alle vergleichbaren Häuser bis Herbst kaum gebucht“, so Meyer, „trotzdem droht uns keine Insolvenz.“

Dank all der Coronahilfen sei man 2020 mit einem blauen Auge davongekommen. Aber auch fürs „Metropol“-Theater sieht es nicht nur gut aus. Von Januar bis Mai bekam die Betreibergesellschaft in den letzten Jahren mit vielen Veranstaltungen finanziellen Speck auf die Rippen, um den traditionell schwachen Sommer zu überstehen. „Da aber gerade nichts anzusparen ist für die Zeit, wo Rücklagen gebraucht werden, wird es zum Problem, wenn genau dann die Coronahilfen auslaufen“, erklärt Meyer.

Was tun? Wenn größere, einträgliche Veranstaltungen zeitnah möglich sein sollten, dann draußen, mit personalisierten Eintrittskarten und festen Sitzplätzen, um Abstands- und Hygieneregeln konsequent durchsetzen und den aktuellen Beschränkungsverordnungen anpassen zu können, so Meyer.

Und so realisiert er im Juli 2021 einen lang gehegten Plan: ein Sommer-Open-Air-Festival mit 30 Veranstaltungen von „überregionaler Strahlkraft“ auf einer „Seebühne“. Ein irreführender Name für die extra gemietete Gerüstkonstruktion. Denn sie wird nicht an einem See oder an der Nordsee aufgebaut, sondern an der Weser in Bremen-Gröpelingen, wo maritimes Flair kaum zu finden ist, sondern eine Pflasterwüste hinter einem Einkaufszen­trum. Der Blick in die anderen Richtungen prunkt immerhin mit einem kleinen, grünen Inselstrich und flussabwärts feiert sich der Sonnenuntergang jeden Abend selbst über einer Kulisse aus Stahlwerk, Kraftwerk Hafen und Lagerhallen.

Ein Name mit schlechtem Klang

Meyers „Seebühne“ steht dort, wo sich bereits das Theater Bremen unter der Leitung von Hans-Joachim Frey auf einer „Seebühne“ am Outdoor-Oper-Pomp versuchte und das „Event“ mit Schickimicki-Catering garnierte. Giuseppe Verdis „Aida“ zog 2009 30.000 Fans an, Giacomo Puccinis „Turandot“ erlebten 2010 nur noch 21.000 Menschen, was ein Minus von mehr als 300.000 Euro in der Theaterkasse bedeutete. Zusammen mit der weiteren millionenschweren Schuldenmacherei durch Freys kunstferne Großprojekte bedeutet das die vorzeitige Beendigung seiner Intendanz und das Ende der Seebühne.

Sie wird daher in Bremen assoziiert mit finanziellem Missmanagement, einem das Theater schädigenden Intendanten, mieser Sitzqualität, fragwürdiger Akustik und spartanischen bis plumpen Inszenierungsansätzen. Warum knüpft Meyer mit der Übernahme des Namens an das Image an? „Meiner Ansicht nach war die Seebühne beim Publikum positiv besetzt, ihre tollen Möglichkeiten wurden anschließend in der Wahrnehmung überlagert durch das wirtschaftliche Defizit.“

Was er anders macht? Es gibt nicht nur schäbige Plastikschalensitze, auch gepolsterte Klappstühle und Strandkörbe. Die Bühne wird von Wasser-Pontons ans Land, also näher ans Publikum geholt. Auf eine Überdachung und damit auf störende Dachträgersäulen verzichtet Meyer zugunsten des Open-Air-Feelings. Um „unkontrollierten Verzehr“ von Speisen zu verhindern, dürfen Seebühnengäste nur ein paar Kleinigkeiten zur Geschmacksnervenreizung erwerben, zum Sitzplatz transferieren und dort auf Abstand verspeisen. 3.000 Sitzplätze will Meyer aufbauen lassen. Dass deren Besetzung genehmigt wird, glaubt er nicht und verkauft erst mal nur 1.000 Tickets je Abend. „Mit 750 verkauften Plätzen pro Veranstaltung kommen wir hin.“ Nach einer Woche waren für alle Veranstaltungen insgesamt 35.000 Tickets abgesetzt.

Das „Metropol“-Theater ist fast ein reines Gastspielhaus. Also jeder kann sich einmieten und dort auf eigene Rechnung Oper-, Schauspiel-, Tanz-, Musical-, Konzert-, Alleinunterhalter-Abende etc. durchführen. Für die Seebühne geht Meyer nun erstmals bei mehr als 90 Prozent der Abende selbst ins unternehmerische Risiko, engagiert die Künstler, zahlt die Abendgage und will mit den Eintrittserlösen Geld verdienen.

Überraschend: Endlich darf Meyer mal selbst bestimmen und dann kuratiert er ein Programm, das sich kaum vom „Metropol“-Theater-Gemischtwarenladen unterscheidet. Künstlerisch reizvolle Abende sind nur wenige auszumachen. Überreichlich Coverband-Shows gibt es stattdessen, Comedy, eine Schlager-Revue, Filmmusik im Sinfoniegewand, Oldtimer-Jazzrock und Annett Louisan. Publikumsmagnet soll zur Eröffnung das Heimspiel von Element of Crime sein.

Masse statt Klasse

„Ich will die breite Masse ansprechen“, sagt Meyer und behauptet, es sei für jeden etwas dabei. Aber Theatergucknachwuchs, der zeitgenössisches Kinder- und Jugendtheater schätzt, muss sich beispielsweise mit dem ästhetisch biederen Erzähltheater des Jungen Theaters Bonn abfinden. Opernfreunde, die Stadttheaterniveau gewohnt sind, bekommen nur Gastspiele der Venezia Festival Opera angeboten, ein vornehmlich rumänisches Ensemble, das seit Jahren durch Europa tourt, gern auf Klischee-Kostüme und eher auf Masse (200-händiges Orchester), denn auf Klasse setzt, damit gemeint wären musikalisch hochwertige Interpretationen und ausgefeilte Regiekonzepte, die mit der Relevanz von Klassikern im Hier und Heute prunken.

„Es mag sein, dass High-End-Opernliebhaber sagen, das habe ich am Theater Bremen oder in Hamburg schon besser gesehen und gehört, aber nicht die Aufführung muss bei uns perfekt sein, sondern das Gesamterlebnis zählt, ein lauer Sommerabend, draußen mit Sonnenuntergang und beliebten Opernmelodien, das gibt es halt nicht im Theater, nur unter freiem Himmel“, so Meyer. Für die Seebühnen-Festivals der kommenden Jahre wünscht er sich, auch mit einer Eigenproduktion auftrumpfen zu können. „Gern auch mit Unterstützung der Künstler hier vor Ort und durch Kooperation mit regionalen Anbietern.“

Seebühne Bremen: 2. 7. bis 7. 8., www.seebuehne-bremen.de