Aceh kommt dem Frieden ein Stück näher

Vertreter der indonesischen Regierung und der Befreiungsbewegung GAM einigen sich in Helsinki auf vorläufiges Abkommen. GAM-Vertreter sollen als Unabhängige auf Listen anderer Parteien kandidieren dürfen. Friedensabkommen für August geplant

VON REINHARD WOLFF

Nach drei Jahrzehnten Bürgerkrieg scheint eine Lösung des Konflikts in der indonesischen Provinz Aceh in greifbare Nähe gerückt. Am Sonntag konnten Delegationen der Regierung in Jakarta und der Befreiungsbewegung GAM in Helsinki zum Ende der fünften Runde der im Januar begonnen Friedensverhandlungen in entscheidenden Streitfragen eine Einigung erzielen.

Knackpunkt war zuletzt die Art einer zukünftigen politischen Einflussnahme der Befreiungsbewegung GAM. Nachdem diese ihre bisherige Forderung nach einer Selbstständigkeit der Provinz aufgegeben hatte, bot Jakarta ihren Repräsentanten an, als unabhängige Kandidaten oder auf der Liste anderer Parteien bei Wahlen zu kandidieren. Die von GAM geforderte Zulassung einer eigenen Aceh-Partei wollte Jakarta zunächst nicht akzeptieren.

Auch in der Absicht, damit die Organisation separatistischer Bewegungen zu erschweren, schreibt das indonesische Wahlrecht bislang nationale Parteien vor. Diese müssen ihre Parteizentrale in Jakarta und eine Organisationsstruktur in mindestens der Hälfte der 33 Provinzen haben. Das sind Hürden, die das Bemühen der GAM, als selbstständiger politischer Faktor an der Gestaltung Acehs teilnehmen zu können, so gut wie unmöglich gemacht hätten.

Nach dem jetzt gefundenen Kompromiss sollen offenbar Repräsentanten aus den Reihen der GAM bei den Lokalwahlen im Frühjahr nächsten Jahres als unabhängige Kandidaten antreten können. Darüber hinaus wolle Jakarta sich bemühen, binnen 18 Monaten die gesetzlichen Voraussetzungen für die Etablierung regionaler Parteien in Aceh zu schaffen.

Hier könnte aber der Teufel im Detail stecken. Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono bezeichnete noch am Sonntag regionale Parteien als verfassungswidrig. Demgegenüber drückte Informationsminister Sofyan Djalil in Helsinki seine Zuversicht aus, man habe „mit 99-prozentiger Sicherheit“ eine zufriedenstellende Lösung der Parteienfrage über eine Anpassung der regionalen Gesetzgebung gefunden. Diesem Weg habe auch der Präsident zugestimmt. Dabei müsse die Verfassung nicht geändert werden.

Dieses wäre tatsächlich ein großer Unsicherheitsfaktor angesichts einer starken politischen Opposition im Parlament in Jakarta, die Gespräche mit der GAM von Anfang an abgelehnt hatte. Die Opposition kritisiert vor allem den sich abzeichnenden nahezu bruchlosen Übergang der bewaffneten Selbstständigkeitsbewegung zu einer politischen Partei und warnt davor, dass jedes Zugeständnis in Richtung zu mehr Autonomie Acehs zu ähnlichen Forderungen anderer Provinzen und letztlich zu einem Auseinanderbrechen Indonesiens führen könnte.

Laut einem in Helsinki vom Vermittler der Gespräche, der „Crisis Management Initiative“ des finnischen Ex-Staatschefs Martti Ahtisaari, veröffentlichten „Memorandum of Understanding“, wollen beide Seiten am 15. August in Helsinki ein Friedensabkommen unterzeichnen. Laut Informationen aus GAM-Kreisen verpflichten sich diese darin, binnen drei Monaten die Waffen abzuliefern. Die indonesische Armee wolle sich im Gegenzug danach aus Aceh zurückziehen. Die Einhaltung des Abkommens soll von Beobachtern aus EU- und Asean-Ländern überwacht werden.

Die GAM, „Bewegung für ein freies Aceh“, hatte das Gebiet mit 4 Millionen EinwohnerInnen an der Nordspitze der Insel Sumatra im Dezember 1976 einseitig für selbstständig erklärt. Um Prinz Hasan di Tiro, Thronfolger der letzten Sultan-Dynastie, bildete sich in Stockholm eine Exilregierung (www.asnlf.net). Der Guerillakrieg soll 12.000 bis 14.000 Menschenleben gefordert haben. Auch angesichts der Verwüstungen durch den Tsunami am 2. Weihnachtstag 2004 war auf beiden Seiten eine Bereitschaft zu den im Januar begonnenen erneuten Friedensgesprächen gewachsen. Vorherige Abkommen waren zweimal, zuletzt im Frühjahr 2003, gescheitert.

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