EU-Corona-Aufbaufonds beschlossen: Milliarden gegen die Krise
Vor einem halben Jahr einigten sich die EU-Staaten auf ein Programm gegen die Rezession. Jetzt ist der Aufbaufonds so gut wie startklar.
Angesichts knapper Kassen will Brüssel zum ersten Mal in großem Stil Schulden machen. Damit wird die EU auch zu einem wichtigen Akteur am Finanzmarkt; die ersten Anleihen trafen auf große Nachfrage. Neu ist auch, dass ein Großteil der Finanzhilfen als Zuschüsse und nicht als Kredite ausgeteilt werden. Angeschlagene Länder wie Italien müssen das Geld also nicht zurückzahlen.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „wichtigen Schritt“ zur Überwindung der Krise. Die so genannte „Recovery and Resilience Facility“ werde Europa „grüner, digitaler und widerstandsfähiger“ machen. Mindestens 37 Prozent der Ausgaben je Land sollen in den Klimaschutz gehen, ein Fünftel in die Digitalisierung.
Zunächst hilft das Programm aber vor allem der EU-Kommission. Sie bekommt nicht nur mehr Geld, sondern auch mehr Macht. Denn die Verteilung der Finanzhilfen wird von Brüssel überwacht. Die 27 EU-Staaten müssen Reformpläne vorlegen, um in den Genuss von Zuschüssen zu kommen. Dabei sollen sie sich nicht nur an Klimazielen orientieren, sondern auch neoliberale Reformauflagen aus dem „Europäischen Semester“ erfüllen.
Frust bei vielen Abgeordneten
Darauf hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel bestanden, bevor sie grünes Licht gab. Merkel setzte auch durch, dass das Programm befristet wird und die Schulden zurück gezahlt werden. Zudem soll die EU neue „Eigenmittel“ – also Steuern und Abgaben – bekommen. Die Details werden aber erst später festgelegt. Das letzte Wort haben die Staaten; das Europaparlament spielt nur eine Nebenrolle.
Dies führt zu Frust bei vielen Abgeordneten. „Eine stärkere Rolle des Parlaments wäre hier ein wichtiges Gegengewicht gewesen“, kritisiert der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. „Die Mitgliedstaaten wollten von Anfang an ein Konto, von dem sie ungestört Geld abheben können, ohne dass sie sich an lästige Vorgaben aus Brüssel halten müssen.“
Kritik von den Grünen
Dies gelte auch für Deutschland, wohin 23 Milliarden Euro fließen sollen, meint der grüne Haushaltsexperte Rasmus Andresen. „Statt in Reformen und Innovation sollen die Gelder in Projekte gesteckt werden, die sowieso schon geplant waren“, kritisiert Andresen. „Kommunen, die echte Innovation antreiben könnten, bleiben außen vor.“ Berlin nutze den Aufbaufonds nicht für einen grünen Neustart.
Es gibt aber noch ein anderes Problem: Die neuen EU-Hilfen sollen erst im Sommer fließen – und damit zu spät, um die aktuelle schwere Rezession zu bekämpfen. Zudem fällt das neue europäische Aufbauprogramm relativ mager aus, wenn man es mit den USA vergleicht. Der neue US-Präsident Joe Biden hat eine massive Aufstockung angekündigt. Die EU will jedoch nicht nachziehen.
Beim EU-Gipfel im Juli 2020, bei dem der Aufbaufonds beschlossen wurde, wäre es fast zum Bruch zwischen Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und den Niederlanden, Österreich und anderen „sparsamen“ Staaten gekommen. An das tagelange Gezerre erinnern sich viele EU-Politiker noch heute mit Grausen. Dieses Fass werde man nicht noch einmal aufmachen, heißt es nun in Brüssel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Bisheriger Ost-Beauftragter
Marco Wanderwitz zieht sich aus Politik zurück