piwik no script img

Jasmin Ramadan Einfach gesagtVerbrechen und andere Dollereien

Foto: Roberta Sant‘anna

Was macht eigentlich Kalle Schwensen?“, fragt die Freundin, die mir den Link zu einer Clubhouse-Runde mit Berliner Halunken geschickt hat.

„Zuletzt hab ich gehört, dass er juristisch gegen seinen rassistischen Spitznamen vorgegangen ist und das Ding gewonnen hat“, sagt die andere Freundin und prostet uns über den Bildschirm mit Wodka-Ananas zu.

„Der Kerl ist lang nicht mehr aufgetaucht.“

„Alle weg vom Fenster“, sagt die Freundin, „in Hamburg geht gar nichts mehr.“

„Aber wir haben hier Läden, die als Kulturgut gelten und weiterhin ‚Ritze‘ heißen, trotz #metoo und so.“

„War Kalle Schwensen wirklich kriminell? Der war doch ständig im TV, sogar beim Promidinner.“

„Hamburger Gangster haben immer mit dem Boulevard gezüngelt, wie hier, der aufgedunsene Partyhorrortyp.“

„Michael Ammer!“

„Der war orange wie Trump! An dem war aber so gar nichts Straße, der war bloß ein liederlicher Lump.“

„Aber für den waren Frauen auch nur Ware – auf seinen Partys hat er die mit Koks, Schampus und Ruhm-Hoffnung vollgemacht, damit sie mit Dieter Bohlen oder welchem Geldsack auch immer bumsen.“

„Der Typ war eklig, ohne das selber zu merken, das hatte einen hohen Unterhaltungswert.“

„Lang ist’s her.“

„Ich lieb’Hamburg, aber wir haben einfach keine exaltierten Kriminellen mehr.“

„In Berlin haben die so schillernde Gangster, über die wird überregional geschrieben.“

„Vielleicht ein bisschen zu viel.“

„Von Journalisten, die das zu aufregend finden.“

„Alle Männer wollen insgeheim böse Buben sein.

„Nee, also mein Mann nicht, der ist viel zu faul.“

„Zumindest interessieren sich die meisten Männer für Gangster aller Art. Egal, ob im Film oder in echt.“

„Weil die Bösen in der Fiktion meistens Männer sind.“

„Stimmt, alles Identifikation, ist superplatt, wenn ’ne Frau lauter Leute eiskalt abmurkst, interessiert’s mich plötzlich völlig übertrieben.“

„Weil es von der Norm abweicht.“

„Nee, weil das dann auch ich sein könnte.“

„Du bist viel zu bequem für ’ne Serienmörderin.“

„Vielleicht war Jack the Ripper ’ne Frau, deshalb sind sie ihr nie auf die Spur gekommen. Jacky the Ripper.“

„Als Verbrecherin wär’mir nie langweilig, weil ich immer auf der Hut sein müsste.“

„Muss irre stressig sein, als Lebensform tagtäglich von der Norm abzuweichen!“

„Aber innerhalb des Gangsterkosmos ist das dann ja auch wieder die Norm.“

„Früher oder später wird alles öde, die Norm ist überall.“

„Alle sollten täglich einmal von der Norm abweichen.“

„Meine Oma hat bei allem Spannenden immer gesagt: Wenn alle das täten, wo kämen wir denn dann hin?!“

„Ins schöne Loco-City.“

„Warum gilt als das Gegenteil von normal eigentlich immer gleich verrückt?“

„Damit die meisten das nicht sein wollen und der Laden weiterläuft wie geschmiert.“

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. Ihr letzter Roman „Hotel Jasmin“ ist im Tropen/Klett-Cotta Verlag erschienen. Sie war 2020 für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert. In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen