Bolle amüsiert sich noch immer

Der Berliner Humor ist harter Tobak, hat aber der deutschen Sprache ein paar schöne Wörter beschert

Mit der Zeit wurde die Schlägerei dann durch Schlagfertigkeit ersetzt

Von Uwe Rada

Hätte Roswitha Schieb ihr Buch über den Berliner Witz mit einer Triggerwarnung beginnen müssen? Achtung, hier geht es um Humor, um Berliner Humor zumal, und der ist nicht jedermanns und jederfraus Sache, erst recht nicht, wenn er unter die Gürtellinie geht oder Sie beleidigen könnte.

Natürlich hat Roswitha Schieb auf solchen Unfug verzichtet, also beginnt halt diese kleine Besprechung mit dem Vorschub: Wer dieses Buch nicht versteht, ist keine Berlinerin und kein Berliner. Denn um das zu sein, braucht es gleich mehrere Eigenschaften. Humor (auf dem Rückzug), Kenntnis des Berliner Dialekts (schon mal in Reinickendorf gewesen?) und Lust am Wortspiel (Kalauer ist keine Wurstsorte).

Allen, die die drei Punkte mit einem Haken versehen haben, sei wiederum gesagt, dass sie gänzlich falsch liegen, wenn sie bei Schiebs „Der Berliner Witz“ einen Schenkelklopfer erwarten. Nicht umsonst steht im Untertitel „Eine Kulturgeschichte“. Das ist zwar ein großer Anspruch, aber Roswitha Schieb stellt sich ihm – und das auch noch überaus vergnüglich.

Dass der Berliner Witz heute gern mal totgesagt wird, liegt nicht nur daran, dass es immer weniger Berlinerinnen und Berliner im oben genannten Sinne gibt. Auch die BVG gibt sich alle Mühe, ihre Busfahrer in Derkundeistderkönig-Seminaren verbal zu entschärfen. Ein riesiges Berlinerwitzvernichtungsprogramm ist das, denn dieser Witz ist vor allem eines: schroff, proletarisch, aber immer mit einem weichen Kern hinter der rauen Schale.

Und so ist er auch entstanden. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts waren Massenschlägereien das Vergnügen des kleinen Mannes, davon zeugt noch immer das Lied von Bolle: „Auf der Schönholzer Heide/ Da jab’s ’ne Keilerei/ Und Bolle, jar nich feige/ War mittenmang dabei/ Hat’s Messer rausjezogen/ Und fünfe massakriert/ Aber dennoch hat sich Bolle/ Janz köstlich amüsiert.“

Mit der Zeit jedoch wurde die Schlägerei durch Schlagfertigkeit ersetzt – die Geburtsstunde des Berliner Witzes.

Im Lauf der Zeit, schreibt Roswitha Schieb, ist er immer wieder durch Einwanderung verändert worden. Im 19. Jahrhundert zum Beispiel durch Schlesier, darunter viele Jüdinnen und Juden. Aber auch die umgekehrte Richtung nahm das Berlinische, etwa in zahlreichen Einträgen in den deutschen Wortschatz. „Ausdrücken wie Klamauk, etepetete, dufte, Fatzke, Göre, mickrig, piekfein, schnieke, schnuppe, schnoddrig, au Backe, doof, Tingeltangel, plemplem, Mief und knorke“, schreibt Roswitha Schieb, „merkt man zum Teil noch ihre Berliner Herkunft an, zum größeren Teil aber sind sie ganz und gar in die allgemeine deutsche Sprache eingeschmolzen.“

In ihrem Buch folgt Schieb dem Berliner Witz von den Jahren seines Entstehens über die Zeit des Biedermeiers bis zum Nationalsozialismus und im geteilten Berlin. Dort lebte der Berliner Witz weniger im Westteil als in Ostberlin wieder auf, denn er war nicht nur mit dem Berliner Dialekt verbunden, der im Osten geradezu gepflegt wurde (auch als kleiner Stinkefinger gen Sachsen). Er war und ist auch immer politisch gewesen.

Schon zu Zeiten der napoleonischen Besatzung war die dazugehörige Technik entwickelt worden. Man benutzt die Sprache des Gegners und macht ihn durch Verballhornung lächerlich. „So wurde das französische Wort ‚baggage‘ (Gepäck, Tross) zu ‚Bagasche‘, einer abwertenden Bezeichnung für Gesellschaft, Gesindel, Pack“, weiß Schieb.

Nein politisch korrekt war der Berliner Witz noch nie. Und das ist auch gut so.

Roswitha Schieb: „Der Berliner Witz. Eine Kulturgeschichte“. Elsengold Verlag, 240 Seiten, 25 Euro