Tod im Herzland des Dschihad

DEUTSCHLAND In Wuppertal galt Bünyamin E. als unauffälliger und hilfsbereiter Mitschüler. Später folgte er seinem Bruder in die Islamistenhochburg Nordwaziristan an der Grenze zu Afghanistan. Dort wurde er im Oktober 2010 das erste deutsche Opfer eines US-Drohnenangriffs

BERLIN taz | Was an jenem 4. Oktober 2010 in Nordwaziristan passiert sein soll, beschrieb der radikale Wuppertaler Islamist Emrah E. in einer E-Mail nach Deutschland so: Sie hätten zu neunt auf einem Hof mit Lehmhäusern zusammen gesessen. „Dann hörte ich ein lautes Knallen.“ Er habe darauf gleich seinen Bruder Bünyamin gesucht – und ihn mit einem Splitter im Hinterkopf aufgefunden. „Sein Hirn kam aus der einen Seite raus.“

Nordwaziristan ist eine Bergregion im Nordwesten von Pakistan, an der Grenze zu Afghanistan – und Bünyamin E. das erste deutsche Opfer der umstrittenen US-amerikanischen Drohnenangriffe auf Terrorverdächtige in diesem Land. Der junge Deutsche türkischer Herkunft war gerade mal 20 Jahre alt, als ihn die Rakete des unbemannten Flugzeugs in der Militanten-Hochburg Mir Ali traf.

Bünyamin E. war seinem älteren Bruder Emrah E. im Sommer 2010 nachgereist. Nach Medienberichten soll er vorher damit geprahlt haben, er wolle einen Selbstmordanschlag begehen. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft ermittelte anschließend wegen des Verdachts der „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“.

Der Tod von Bünyamin E. in der Hochburg des globalen Dschihad stieß in seinem früheren Umfeld in Wuppertal und Umgebung auf Erstaunen und Entsetzen: Eine ehemalige Mitschülerin von der Hauptschule in Wuppertal-Vohwinkel hat ihn als „hilfsbereiten und netten Mitschüler“ in Erinnerung. Und aus der Abendrealschule im Stadtteil Barmen, die Bünyamin E. von 2007 an besuchte, war zu hören: „Er ist weder positiv noch negativ aufgefallen.“

Er schien auf einem guten Weg zu sein, überlegte angeblich, eine Ausbildung beim Autolackhersteller DuPont zu machen. „Ich dachte, der packt es“, sagt ein Landwirt, bei dem Bünyamin als Teenager jobbte.

Anders der ältere Bruder Emrah: Der war als Teenager früh kriminell geworden, saß unter anderem wegen schwerer räuberischer Erpressung im Gefängnis. Als er seine Haft verbüßt hatte, schloss er sich den Salafisten an – einer fundamentalistisch-islamistischen Bewegung. Sein Bruder Bünyamin bewegte sich spätestens ab 2008 ebenfalls in dieser Szene, saß zeitweise sogar im Vorstand eines Salafistenvereins – wie auch der Vater der beiden, Sait E.

Wie sich die Brüder von da an weiter radikalisierten, ist nicht bekannt. Im April 2010 reiste Emrah E. gen Pakistan aus, kurze Zeit später kam seine Frau samt Sohn nach, schließlich auch der jüngere Bruder. Bünyamin wird dort nach wenigen Wochen von der Rakete einer US-Drohne getroffen. Auf radikalen islamistischen Webseiten, die zum bewaffneten Kampf aufrufen, werden Fotos seiner Leiche veröffentlicht. In einem kurzen, verquasten Text auf Türkisch heißt es, er habe nur kurz an der Blume des Dschihad geschnuppert und dann gleich das Zuckerwasser des Martyriums getrunken: „Oh Gott, nur damit du zufrieden bist, habe ich mich beeilt.“

Bruder Emrah E. wurde nach seinem Tod zu einem der bekanntesten deutschen Terrorverdächtigen. Er soll zumindest zeitweise Mitglied von al-Qaida gewesen sein. Ein Anruf des Wuppertalers beim Bundeskriminalamt sorgte im Herbst 2010 mit dafür, dass an deutschen Bahnhöfen wochenlang schwerbewaffnete Polizisten patrouillierten und das Reichstagsgebäude abgesperrt wurde.

Anfang 2011 setzte sich Emrah E. dann über den Iran und Kenia nach Somalia ab. Die Sicherheitsbehörden mehrerer afrikanischer Länder hatten den heute 24-Jährigen im Verdacht, ein Kämpfer der dortigen Al-Shabaab-Milizen zu sein.

Am 10. Juni wird Emrah E. in Tansania festgenommen und eine Woche später nach Deutschland ausgeliefert, wo ihm nun der Prozess gemacht werden soll – und er gleichzeitig als Zeuge für Ermittlungen wegen des Drohnenangriffs auf seinen Bruder zur Verfügung steht. WOLF SCHMIDT