die woche in berlin
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Die neuen Coronaregeln des Senats sind verwirrend und unscharf. Scharf ist dagegen, dass ein interner Bericht des Berliner Verfassungsschutzes über die Landes-AfD an die Partei geleakt wurde. Der Umgang des FC Union mit rassistischen Äußerungen von Spielern ist missglückt.

Nichts Genaues
weiß
man nicht

Senat beschließt neue Coronaregeln für Berlin

Muss Karl Lauterbach jetzt ein Bußgeld bezahlen? Immer wieder ist der SPD-Gesundheitsexperte und Verfechter einer harten Eindämmungspolitik mit einer Maske des Herstellers Livinguard zu sehen, sogar im Beisein der Kanzlerin. Laut Angaben des Herstellers werden Viren im Vergleich zu FFP2-Masken nicht nur herausgefiltert, sondern auch unschädlich gemacht. Vor allem aber sind die Masken wiederverwertbar. Lauterbach geht also nicht nur auf Nummer sicher, er trägt auch den Nachweis einer nachhaltigen Gesinnung auf Mund und Nase.

Das Problem ist nur: Offiziell ist die Livinguard-Pro-Maske gar nicht zugelassen. Zwar ist sie nach dem Standard EN 14683:2019 als medizinische Gesichtsmaske Typ I zertifiziert. In der Pressemitteilung der Senatskanzlei und von Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) aber ist sie nicht aufgeführt. Dort heißt es zur verschärften Maskenpflicht: Im öffentlichen Nahverkehr und in Geschäften „ist eine medizinische Gesichtsmaske (also sogenannte OP-Maske oder sogar virenfilternde Maske der Standards KN95 oder FFP2) zu tragen“.

Gut möglich also, dass Lauterbach bei einer Kontrolle in der U-Bahn ein Bußgeld bezahlen müsste, und das, obwohl die Livinguard einer herkömmlichen OP-Maske offenbar weit überlegen ist. Es ist also für Verwirrung gesorgt und für reichlich Gesprächsstoff bei Kontrollen der neuen Maskenpflicht.

Doch das ist nicht die einzige Unschärfe, die der rot-rot-grüne Senat bei der Übernahme der Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz angerichtet hat. Auch eine Konkretisierung der Ausweitung des Homeoffice hat er bei seiner Sitzung am Mittwoch unterlassen. Zwar hatte Arbeitssenatorin Elke Breitenbach (Linke) dem Tagesspiegel zufolge einen Antrag eingebracht, Arbeit am Bildschirm zu verbieten, wenn Arbeitnehmer dafür ins Büro gehen müssen. Doch der Antrag wurde vertagt: Man müsse sich erst mit dem Bund abstimmen, hieß es. Bis dahin bleibt es wieder nur bei einem Appell zum Homeoffice.

So richtig weiß also niemand, was in Berlin gilt und was nicht. Gleiches gilt auch für die Notfallbetreuung in Kitas. Für sie wurde die Liste der systemrelevanten Berufe überarbeitet. Schätzungen zufolge könnte die Auslastung der Kitas auf über 50 Prozent steigen. Ob das im Sinne der Kontaktreduzierung ist, mit der die Ausbreitung der B.1.1.7-Mutation verhindert oder zumindest gebremst werden soll? Würden die Kitas einen wahren Sturm erfahren, heißt es, müsse man die systemrelevanten Berufe priorisieren.

Ach ja, Kontakte. Am Samstag sind wieder die Wochenmärkte offen. Wieder wird es Gedränge geben, wieder werden dort Waren verkauft werden, die in Geschäften nicht verkauft werden dürfen. Und wieder werden die Ordnungsämter streng gucken, passieren wird aber nichts. Wie sagte der von der AfD gestellte Pankower Ordnungsstadtrat Daniel Krüger: Er sehe aktuell keinen Handlungs­bedarf. Uwe Rada

Hand in Hand mit dem Geheimdienst

AfD attackiert Innensenator nach geleaktem VS-Bericht

Diese Woche hat sich gezeigt, warum mit dem Berliner Verfassungsschutz (VS) kein Demokratieschutz zu machen ist: Offenbar haben Be­am­t:in­nen des VS, die eigentlich für die Beobachtung von Rechtsextremismus zuständig sein sollen, einem ihrer Beobachtungsobjekte, der kontinuierlich nach rechts driftenden Berliner AfD, einen vertraulichen Berichtsentwurf zugesteckt.

Das auch der taz vorliegende 43-seitige Dokument liest sich in Teilen wie ein Gefälligkeitsgutachten. Trotz in dem Entwurf dokumentierter menschenfeindlicher Aussagen von AfD-Accounts in den sozialen Medien sowie der Verbreitung von rechtsextremer Ideologie sei die AfD Berlin in der Summe nicht verfassungsfeindlich, heißt es in dem Papier.

Entsprechend hat die AfD die ihr angenehmen Passagen des Dokuments instrumentalisiert und damit den Innensenator Andreas Geisel (SPD) scharf attackiert. Er habe versucht, Einfluss auf den VS auszuüben, um die AfD zu einem Verdachtsfall für den Geheimdienst zu erklären. Sogar einen Missbilligungsantrag gegen Geisel will die AfD nun im Abgeordnetenhaus stellen.

Die Innenverwaltung weist die Vorwürfe zurück. Weder Innensenator noch Staatssekretär hätten Kenntnis von dem Entwurf gehabt. Zudem sei der Zwischenbericht des Rechtsextremismus-Referats nicht abgestimmt, andere Abteilungen hätten methodische Mängel festgestellt, Erkenntnisse des Bundes-VS fehlten. Geisel will Anzeige wegen Geheimnisverrats gegen Unbekannt erstatten und personelle Konsequenzen ziehen.

Der Angriff der AfD ist dabei eher als verzweifelte Abwehraktion zu werten. Hintergrund ist die laut Sicherheitskreisen unmittelbar bevorstehende Einordnung der bundesweiten AfD von einem rechtsextremen Prüffall zu einem Verdachtsfall. Tritt das ein, darf der Verfassungsschutz geheimdienstliche Mittel anwenden, etwa V-Personen anwerben oder Observationen durchführen. Für Be­am­t:in­nen dürfte dann die aktive Mitgliedschaft in der AfD ein Problem sein.

Der Fall zeigt einmal mehr, dass der Verfassungsschutz der Bekämpfung von Rechtsextremismus oft eher im Weg steht. Vielen für Rechtsextremismus verantwortlichen Be­am­t:in­nen bei dem Geheimdienst ist nicht zu trauen. Und der Einsatz von V-Personen in der AfD würde wohl nach hinten losgehen, weil am Ende nachrichtendienstliche Informationen an die Partei fließen würden. Die gesellschaftliche Ausgrenzung der AfD sowie die Beobachtung durch antifaschistische Recherche-Kollektive und Jour­na­lis­t:in­nen haben mehr für den Demokratieschutz getan. Gareth Joswig

Die diskrete Diplomatie im Fußball

Rassismus beim FC Union und die Mauer des Schweigens

Am Ende konnte keiner keinem etwas nachweisen. Es blieb nebulös, was für Worte gefallen waren. „Der Nachweis einer rassistisch motivierten oder diskriminierenden Handlung konnte nicht erbracht werden“, verkündete das DFB-Sportgericht am Donnerstag, und entschied dennoch auf Spielsperre und Geldstrafe „wegen unsportlichen Verhaltens“. Eine Diplomatie-Entscheidung, die am ehesten Union Berlin zufrieden stellen konnte.

Es war eine ungemütliche Woche für den Männer-Bundesligisten aus Köpenick. Am vorangegangenen Freitag, beim 1:0 gegen Bayer Leverkusen, hatte es eine der üblichen Rudelbildungen auf dem Platz gegeben. Union-Spieler Florian Hübner soll dabei den Leverkusener Nadiem Amiri, deutscher Nationalspieler mit afghanischer Familiengeschichte, als „Scheiß-Afghane“ beschimpft haben. So zumindest berichtete es der Leverkusener Verteidiger Jonathan Tah, der die Worte aber nicht selbst gehört hatte. Und die Mikrofone fingen ein, wie Union-Stürmer Cedric Teuchert rief: „Der ist immer noch am Schimpfen, ey! Wir sind hier in Deutschland, Alter!“

Sehr eindrücklich rassistisch dies. Trotzdem wurden die Ermittlungen gegen Teuchert eingestellt, er aber gleichzeitig – fast Realsatire – darauf hingewiesen, künftig besser auf seine Wortwahl zu achten. Hübner erhielt eine vage Strafe für Beleidigung, weil man wohl auch nicht gar nichts machen wollte. Interessant ist der Fall vor allem, weil er viel darüber sagt, wie Fußball funktioniert. Beide Spieler übten sich in Diplomatie. Hübner entschuldigte sich in der Kabine bei Amiri; gegenüber dem Sportgericht beteuerte er dennoch, die kolportierte Beschimpfung habe er nicht getätigt. Später äußerte er über den Verein ein braves Antirassismus-Statement. Union stichelte unterdessen gegen Bayer Leverkusen.

Amiri wiederum konnte oder wollte sich nicht so genau erinnern, ob „Scheiß-Afghane“ gefallen war, und befand die Sache für erledigt. Die Mauer des Schweigens war schnell wieder hochgezogen um die diskrete Branche. Umso lauter dafür Teile der Öffentlichkeit, die sich moralisch auf Hübner eingeschossen hatten. Dabei sprachen er – falls er es tat – und Teuchert nur aus, was auf jedem Schulhof, auf jedem Fußballplatz, in jeder Kabine wöchentlich gang und gäbe ist. Die Baumkrone ist nicht besser als die Wurzel. Nur verschwiegener. Antirassistische Arbeit mit Spielern, ernsthafte Kapitalismuskritik (nicht umsonst ging es um „Scheiß-Afghane“, nicht „Scheiß-Schwede“) und konsequenter Druck auf die rassistische und sexistische Hau-drauf-Mentalität im Fußball würden dagegen mehr helfen als Pauschalurteile über persönliche Einstellungen Einzelner. Der DFB möchte all das offenbar irgendwie still beilegen. Das misslingt ordentlich, nichts ist geklärt.

Einen Hinweis auf die Welt hinter der Fassade gab Amiris Bruder in den sozialen Medien. Zu seinem Bruder „Scheiß-Afghane“ zu sagen, sei das Allerletzte, schrieb Nauwid Amiri. „Mein Bruder und ich sind hier in Deutschland geboren und aufgewachsen. Wir lieben das Land und mein Bruder ist voller Stolz deutscher A-Nationalspieler […] und dann bringst du meinen Bruder nach dem Spiel zum Weinen. Denkst du, in die Kabine zu gehen und sich entschuldigen zu wollen, reicht, und alles ist damit vergessen?“ Nadiem Amiri teilte die Story. Und entfernte sie dann. Kein Raum im Fußball für Tränen. Und wenig für internen Antirassismus. Alina Schwermer

Kein Raum im Fußball für Tränen. Und wenig für internen Antirassismus

Alina Schwermer über Rassismus beim FC Union