Ist Deutschland zu nett zur Schweiz?

ABKOMMEN Deutschland verteidigt sein Steuerinteresse, die Schweiz ihr Bankgeheimnis – die Verhandlungen stocken. Und Millionen Euro bleiben unversteuert

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JA

Hans Eichel, 70, ehemaliger SPD-Ministerpräsident und Bundesfinanzminister a. D.

Zwischen Deutschland und der Schweiz geht es mal wieder hoch her. Dabei beweisen die angekauften CDs doch nur, was alle sowieso wissen: In der Schweiz lagert massenhaft Schwarzgeld, auch aus Deutschland. Es ist ein Geschäftsmodell der Schweiz (und aller anderen Steueroasen) und der meisten ihrer Banken, solches Geld anzulocken, es vor dem zuständigen Steuerfiskus zu verstecken und sich den so ermöglichten Gewinn mit den Steuerflüchtlingen zu teilen. Das ist Hehlerei. Solange es diese kriminelle Praxis gibt, wird es auch Menschen geben, die das anprangern und aufdecken, auch in den Banken. Die einen können es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren, andere sehen die Gelegenheit, sich daran die Hände zu wärmen. Der deutsche Rechtsstaat darf so erhaltene CDs verwenden – und muss es auch, um sein Recht durchzusetzen. Und die Schweiz muss mit der Hehlerei definitiv Schluss machen. Das gebieten vor allem der Rechtsstaat und die gute Nachbarschaft. Die Schweiz muss den zuständigen Finanzbehörden die Kapitalkonten und die Kapitalerträge automatisch melden, wie es westeuropäischer Standard ist. Erst und nur dann ist der Steuerhinterziehung der Boden entzogen.

Thomas Eigenthaler, 54 Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft

Wir sind vor allem zu nett zu den Schweizer Banken. Ich meine damit jene Bankinstitute, die seit Jahrzehnten Schwarzgelddepots, Steuerhinterziehung und oft auch Geldwäsche zu einem florierenden Geschäftsmodell entwickelten. Unter dem Schutzmantel der Anonymität und des Bankgeheimnisses wurde augenzwinkernd, aber oft auch unverhohlen unversteuertes Geld eingesammelt und vor dem deutschen Fiskus versteckt. Ich schätze die Schwarzgeldanlagen Deutscher in der Schweiz auf etwa 150 Milliarden Euro. Das geplante Steuerabkommen löst die Probleme nicht, sondern verdeckt sie. Hartgesottene Steuerhinterzieher bleiben weiter anonym und gehen straffrei aus. Gegenüber ehrlichen Steuerzahlern werden sie mit Billigsteuersätzen belohnt. Und die Banken, oft Gehilfen der Steuerhinterzieher, treten an die Stelle deutscher Finanzämter. Das dubiose Bankgeheimnis bleibt bestehen und ermöglicht auch in Zukunft das Bunkern von Schwarzgeld.

Michael Sassnink, 64, ehemaliger Betriebswirt, beantwortete die Frage per Mail

Den Schweizern geht es um knallharte Interessenpolitik, die wollen sich ihr „Steuerfluchtmodell“ nicht kaputt machen lassen. Es kann von deutschen Steuerbehörden nach Inkrafttreten des Abkommens nicht überprüft werden, ob alle Schwarzgelder versteuert und die Zinsen an Deutschland abgeführt werden. Unabhängig davon gehören Steuerflüchtlinge bestraft. Das lässt das Abkommen außen vor. Also entweder rücken die Schweizer die Daten deutscher Steuerhinterzieher heraus oder alle Filialen Schweizer Banken in Deutschland werden geschlossen. Das hilft, da bin ich sicher!

André Grossen, 29, Sachbearbeiter aus Luzern, kommentierte die Frage auf taz.de

Bis vor der Krise war das Bankgeheimnis eine heilige Kuh, die ohne Druck von außen niemals angetastet worden wäre. Jetzt spricht man von „Weißgeldstrategie“ und versucht, Banken und ihre ausländischen Millionärskunden die größtmöglichen Schlupflöcher offenzuhalten. Schweizintern ist Steuergerechtigkeit ein Fremdwort.

Nein

Wolfgang Schäuble, 69, CDU-Abgeordneter und Bundesminister der Finanzen

Ich halte es da mit Willy Brandt: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn werden im Innern und nach außen“, sagte er in seiner ersten Regierungserklärung im Herbst 1969. Das sollte auch heute unser Maßstab sein. Natürlich hat jeder seine Interessen. Wir wollen unbedingt unsere berechtigten Steuerinteressen durchgesetzt sehen, und die Schweiz muss ebenso ihre Interessen, die sich aus dem Gesichtspunkt des Rechts- und Vertrauensschutzes ergeben, verteidigen. Das müssten wir Deutsche umgekehrt genauso halten. Wir sind beides Rechtsstaaten. Aber: Unterschiedliche Auffassungen gilt es im Dialog zu lösen, nicht mit Drohgebärden. Prinzipienreiterei hilft uns wenig. Natürlich kann eine pauschale Lösung für die Vergangenheit keine perfekte Gerechtigkeit bringen. Ohne das Abkommen verjähren aber weiterhin jedes Jahr deutsche Steuerforderungen in großem Umfang, und wir haben keine Lösung für die Zukunft. Dies kann keiner mit ein bisschen Verantwortung ernsthaft wollen! Daher sollten wir den Weg nutzen, den uns das Abkommen bietet, also eine pauschale Nachversteuerung in sehr beachtlicher Höhe und eine vollkommene steuerliche Gleichbehandlung mit Vermögen in Deutschland für die Zukunft, und jetzt den ewigen Disput beenden.

Patrick Döring, 39, Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der FDP

Hätten wir doch mit der Steinbrück-Kavallerie die Rösti-Linie besetzen sollen? Hätten unsere Fußballer als Holzhacker endlich den ersehnten Erfolg? Endlich wieder knüppelhart und hässlich? Wenn wir da hin wollen, kämen wir als Datendealer gut voran. Weil das aber keiner wirklich will, müssen wir durch diese hohle Gasse: Rot-Grün darf den Weg zum Steuerabkommen mit der Schweiz nicht länger verhindern. Dann bekommen wir Rechtssicherheit und unser Geld zurück, jedenfalls ein paar Milliarden – mehr als nichts. Im Übrigen: Steuersünder sind keine ehrenwerten Räuber, die sich nur nehmen, was ihnen zusteht. Sie sind schon gar keine Leistungsträger, für die wir Liberale einstehen. Sie sind miese Betrüger. Wenn sich auch die Faust in der Tasche ballt, wer will schon wieder das Faustrecht zwischen zivilisierten Nachbarn?

Anita Fetz, 55, Schweizer Sozialdemokratin, ist Ständerätin des Kantons Basel-Stadt

Das diplomatische Leben ist kein Ponyhof. Aber auch kein Schlachthof. Das Steuerabkommen ist eine erste pragmatische Möglichkeit, Gelder in Höhe von ca. 190 Milliarden CHF zu regularisieren und dem deutschen Fiskus entzogene Gelder zurückzuerstatten. Hinterzogen mit Unterstützung auch von Schweizer Filialen deutscher Banken. Von einer Verzögerung profitiert beiderorts nur die Finanzwirtschaft, die sich darüber schlapplacht, dass man sie gewähren lässt und erst noch die freundschaftlichen Beziehungen opfert.

Roger Köppel, 47, ist Chefredaktor des Schweizer Magazins „Die Weltwoche“Der Zorn der Goliath-Politiker aus Berlin und Brüssel auf den David-Staat Schweiz ist so groß, dass sie ihn moralisch verunglimpfen, ihm mit Geisterkavallerien und eingebildeten Kanonenbooten drohen. Die Schweiz ist gegenüber der EU, was die BRD einst gegenüber der DDR war: eine Sehnsuchtsinsel der Freiheit, die gerade deswegen außerordentlich geschätzt wird. Fazit: Die Deutschen sind nett, die deutschen Politiker sind nicht nett zur Schweiz.