Rettung vor dem Abriss

Der Denkmalschutz steht oft mit anderen Interessen im Konflikt. Beim Hygieneinstitut in Steglitz ist der Landeskonservator Christoph Rauhut im Dialog mit der Charité immerhin etwas weitergekommen

Das Institut für Hygiene und Mikrobiologie, mit (v. l. n. r.): Jochen Brinkmann, Leiter des Baubereichs der Charité, Landeskonservator Christoph Rauhut, Prof. Dr. Axel Radlach Pries, Dekan der Charité, und Astrid Lurati, Vorstand für Finanzen und Infrastruktur der Charité Foto: Landesdenkmalamt Berlin, Anne Herdin.

Von Ronald Berg

Christoph Rauhut ist „begeistert“, meldete die Berliner Senatsverwaltung für Kultur in der letzten Woche. Diese Anzeige einer euphorischen Gemütslage ist erst mal ungewöhnlich und erklärungsbedürftig. Worum geht es? Rauhut ist Landeskonservator, also der oberster Denkmalpfleger im Land Berlin. Und was da am 21. Januar per Pressemitteilung verkündet wurde, war tatsächlich eine Erfolgsmeldung für den Denkmalschutz. Der hat es ja nicht immer leicht, eher immaterielle Denkmalwerte gegenüber materiellen beziehungsweise ökonomischen Interessen von Gebäudenutzern zur Geltung zu bringen. Im konkreten Fall geht es um die Unterschutzstellung des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie der Charité in Lichterfelde.

„Der Forschungs- und Bildungsbau entstand 1969–74 im Auftrag der Freien Universität Berlin. Der Entwurf stammt von den bekannten Architekten Hermann Fehling und Daniel Gogel. Die außen und innen sehr gut erhaltene Gesamtanlage ist denkmalwert aus künstlerischen, historischen und städtebaulichen Gründen. Zusammen mit dem nahe gelegenen Klinikum Steglitz (heute das Hauptgebäude des Charité Campus Benjamin Franklin, gebaut 1961–68, Baudenkmal seit 2012) und den mittlerweile außer Betrieb genommenen Zentralen Tierlaboratorien gegenüber (sogenannter Mäusebunker, gebaut 1971–81) bildet es eine einzigartige Gruppe von jüngeren Forschungs- und Gesundheitsbauten am Teltowkanal.“ So lautet die Begründung für den Denkmalschutz des Gebäudes vom einstigen Architekturbüro Fehling+Gogel.

Was zunächst wie eine Erfolgsmeldung klingt, ist bei näherem Besehen aber in Wirklichkeit bestenfalls ein Teilerfolg. Denn das Hygieneinstitut mag damit vor dem Abriss gerettet sein, der inzwischen weltweit bekanntere Mäusebunker auf der anderen Seite der Krahmerstraße, mit dem das Institut unterirdisch verbunden ist, ist es nicht.

Nach mehreren offenen Briefen von Architekturexperten und einer Onlinepetition „Rettet den Mäusebunker“ mit derzeit über 8.000 Unterschriften schwebt über dem Mäusebunker des Architektenpaars Gerd und Magdalena Hänska, der erst 1981 fertiggestellt wurde, immer noch das Damoklesschwert des Abrisses.

Die von der Charité bereits eingereichte Abrissanzeige liegt – gerüchteweise auf Geheiß des Regierenden Bürgermeisters – derzeit auf Eis. Es laufen Gespräche zwischen dem Universitätskrankenhaus und der Denkmalpflege.

In gewisser Weise geht es hier um einen Familienzwist. Das Land Berlin ist Träger der Charité zugleich aber auch Garant des Denkmalschutzes in Berlin. Dass der Mäusebunker denkmalwert ist, wird kein Fachkundiger bezweifeln, zumal es sich in Lichterfelde eigentlich um ein Denkmalensemble handelt, bei dem es aus denkmalpflegerischer Sicht wenig Sinn macht, Teile herauszubrechen.

Das in Zeiten der Teilung Berlins errichtete Zentrum der medizinischen Forschung, Lehre und Praxis ist nun in seinem architektonischen Bestand gerade dadurch gefährdet, dass es zum Life Science Campus weiterentwickelt werden soll, so die Absicht der Charité. Zunächst war das Gebäude des Hygieneinstituts dabei von der Charité ebenso als obsolet betrachtet worden wie der Mäusebunker. Das Hochsicherheitsgefängnis zum Ge‑ und Verbrauch von Versuchstieren ist seit dem Sommer außer Betrieb, weil die Tierexperimente nun am Stadtrand auf dem Campus Berlin-Buch in neuen Baulichkeiten stattfinden.

Es gibt also einen handfesten Konflikt zwischen Denkmalschutz und einer „strategischen Vision“ der Charité, in denen der Mäusebunker in Lichterfelde nicht mehr vorkommt. An seiner Stelle sind Neubauten zur „Etablierung eines Forschungsclusters zum Thema Gesunderhaltung und Prävention gemeinsam mit der Freien Universität Berlin und weiteren nationalen Forschungspartnern“ vorgesehen.

Deshalb die Unterschutzstellung des Hygieneinstituts als Sieg der Denkmalpflege über die Absichten der Charité zu nennen wäre aber ganz gegen die Interessen des Landesdenkmalamtes. Statt auf Konfrontation setzt man nämlich dort auf Dialog und Beteiligung. Diese Strategie ist jetzt mit der Unterschutzstellung des Hygieneinstituts erst einmal aufgegangen. Und deshalb zeigte sich Christoph Rauhut auch so „begeistert“.

Das seit Dezember in Gang gekommene „wettbewerbliche Dialogverfahren zur städtebaulichen Entwicklungsplanung des gesamten Campus Benjamin Franklin läuft derweil weiter, führte aber in Sachen „Mäusebunker“ bislang noch nicht zu greifbaren Ergebnissen.

Gerade mal vier Wochen beträgt die Einspruchsfrist des Denkmalamts bei einem Abrissantrag

Nun könnte man sich allerdings fragen, warum die beiden Gebäude von Hygieneinstitut und Mäusebunker nicht schon längst unter Denkmalschutz standen, sodass mögliche Abrissabsichten vonseiten der Charité zumindest sehr viel schwieriger durchzusetzen wären. Warum also die Denkmalpflege nicht schnell genug war, sich selbst die Arbeit zu erleichtern, begründet Christoph Rauhut in einem Gespräch mit der taz letzte Woche mit der „Unterbesetzung“ seines Amts. Dessen Pendant in Hamburg etwa hätte die doppelte Stärke.

Für Berlin heißt das: Der Denkmalschutz kommt oft zu spät. Gerade mal vier Wochen beträgt die Einspruchsfrist des Denkmalamts bei einem Abrissantrag. Die bessere Lösung (zumindest für die Denkmalpflege) wäre sicher eine Gesetzesänderung in dem Sinne, dass mögliche Denkmalinteressen bei einem Antrag zum Abriss durch den Eigentümer vorab abgeklärt werden müssten – und eben nicht erst auf Einspruch der Denkmalamtes, nachdem der Antrag bereits gestellt ist.

Zumindest in einem Punkt scheint aber der Schutz vor Abriss wertvoller Gebäuden in der Rechtsprechung inzwischen mehr Gewicht zuzukommen. Lange Zeit war es ganz einfach leichter, ein Gebäude komplett abzureißen, als es baulich entgegen dem Urheberschutz des Architekten zu verändern. In dieser Rechtauffassung hat sich ein „Paradigmenwechsel“ ereignet, meint zumindest der Rechtsanwalt und Bundesgeschäftsführer der Bundesarchitektenkammer, Tillman Prinz. Denn „bislang kam es bei der vollständigen Vernichtung eines urheberrechtlich geschützten Werkes gar nicht erst dazu, dass das Gericht die Interessen von Sacheigentümer und geistigem Eigentümer gegeneinander abwog“, wie Prinz im Deutschen Architektenblatt ausführt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 21. Februar 2019 (Az.: ZR 98/17). „muss also der Bauwerkseigentümer [jetzt] gut begründen, warum ein Abriss gerechtfertigt ist“.

Insofern haben sich die Kräfteverhältnisse in Konfliktfällen zugunsten des Erhalts von Gebäuden etwas verschoben. Man wird sehen, wie diese Entwicklung sich auf die hinter den Kulissen laufenden Verhandlungen um die Zukunft des Mäusebunkers auswirkt.