Konstanten des Wohnens

Fotografien von Häusern und ihrer Bewohner in den ländlichen Randgebieten Europas sind das Thema des Becher-Schülers Martin Rosswog. Das Rheinische LandesMuseum in Bonn zeigt seine erste große Retrospektive

AUS BONN JÜRGEN SCHÖN

Familienfotos, Heiligenbilder, Zeitungen aus der fernen Heimat kleben an der Wand. Auch in der größten Armut versucht der Mensch, seiner Wohnung mit viel Liebe eine persönliche Note zu verleihen. Das Rheinische Landesmuseum Bonn zeigt in seiner Sonderausstellung „heritage - interieur - portrait - landschaft“ rund 200 Bilder des Fotografen Martin Rosswog. Seit mehreren Jahren dokumentiert er die Wohnungen von Menschen, die in Europas Peripherie leben, sei es in in Rumänien, Karelien, Irland oder auf den Neuen Hebriden.

Der Fotograf sucht nach verbindenden Konstanten des Wohnens unter kargen Bedingungen. Er nähert sich den Objekten mit dem sachlichen Blick eines Ethnologen, fern von Sozialromantik oder nostalgischer Verklärung. Hier zeigt sich der Einfluss seiner Lehrer Bernd und Hilla Becher. Doch während die in ihren Serien den „Typus“ von Industriebauten aus der Seriensicht der Einzelobjekte entwickeln, untersucht Rosswog auch die Details der „Individuen“. Erst fotografiert er in Farbe eine Landschaft mit Haus. Dann zeigt er das Gebäude aus unterschiedlichen Perspektiven und Entfernungen, bezieht dabei auch die nähere Umgebung ein, etwa den Garten oder Scheunen. Diese Aufnahmen sind schwarz-weiß wie die Porträts der Bewohner. In Farbe dann wieder die Zimmer, Wohnküchen oder Wohnschlafzimmer.

Auch hier hat er wieder einen sequentiellen Blick, ändert seinen Standpunkt nur um mehrere Grad, Gegenstände am Rand der Bilder stellen Verbindungen zwischen ihnen her. Noch detaillierter werden die Aufnahmen einer Lampe auf dem Nachttisch, die sauberen Teller im Schrankbord. Die „Landschaften“ setzen sich jeweils aus drei Fotos zusammen, die nahtlos aneinander anschließen. Von den „Bewohnern“ gibt es jeweils nur ein Foto. Bei den Detail-„Kapiteln“ schwankt die Zahl. Wie Puzzlesteine setzt sich schließlich das Gesamtbild zusammen. Es gibt es keine Unordnung oder Dreck, es fehlen fast alle Spuren von Leben, von Arbeit. Wahrscheinlich räumen die Bewohner auf, bevor der Fotograf kommt. Nähere Angaben zu den Menschen auf den Bildern erhält der Betrachter nicht, er kann von den zerfurchten Gesichtern manchmal nur auf ein hartes Leben schließen. Fakten zu den Familienverhältnissen, zur persönlichen Geschichte hat Rosswog lediglich in Notizen festgehalten und die sind ein kleiner Teil der Ausstellung.

Abgeblätterte Anstriche, kalte Asche im Kamin oder glatt gezogene Bettdecken. Rosswog will mit unbestechlichem Blick nur die Spuren menschlichen Lebens dokumentieren, nicht das Leben selber. Es ist immer seine Sicht auf ein kulturelles Erbe, dass die ältere Generation hinterlässt und sich mit Tradition gegen den Einzug der Moderne wehrt. Wo die in Form von Radios, Fernsehapparaten oder Kühlschränken doch Einzug gehalten hat, genießt sie dann oft eine religiöse Verklärung.

Vielleicht wird Rosswogs Arbeit erst in Jahrzehnten ihre wahre Bedeutung erhalten, als das europäische Gedächtnis einer Kultur ohne materiellen Luxus.

Bis 18. September, Rheinisches LandesMuseum BonnInfos: 0228-20700