Mir san die Niedersachsen

Der ewige Rechtschreibreform-Gegner Christian Wulff steigt nicht auf den Verweigerungszug von Bayern und NRW auf. Ein Vorgeschmack aufs Merkelsche „Durchregieren“ oder doch eher auf den föderalen Querulantenstadl?

„Unser Land braucht aber auch endlich eine Mehrheit für einen Neuanfang im Deutschen Bundestag, damit wir mit klaren Verhältnissen im Bundestag und im Bundesrat durchregieren können.“ Angela Merkel im Bundestag am 1. Juli 2005.

So sieht also Politik aus einem Guss aus. Auf welchen verfeindeten wie populistischen Haufen sich Wähler wie Angela Merkel nach einem Wahlsieg von CDU und FDP einstellen können, zeigt das neue Debakel um die Rechtschreibreform. Am Wochenende hatte es noch so ausgesehen, als ob Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff auf den Zug von Bayern und Nordrhein-Westfalen aufspringen wollte. Sein bayrischer Kollege Edmund Stoiber hatte auf den ewigen „Schlechtschreibreform“-Gegner Wulff gehofft, als er verkündete, er wolle die verbindliche Einführung der Reform verschieben. In den drei Ländern wohnt fast die Hälfte der Bundesbürger, das Umkippen anderer Unionsgranden wäre wahrscheinlicher geworden. Doch Wulff, der vor fast genau einem Jahr mit dem Vorstoß, die 1996 beschlossene Reform zu stoppen, alles erst ausgelöst hatte, taktierte. Er ließ zwar Sympathie für die Reform-Attacke aus dem Süden verbreiten. Noch sei allerdings nichts entschieden. Das Kabinett werde die Sache erst am Dienstag behandeln.

Das gab Zeit, die Reaktion der Medien am Montag abzuwarten. Die war verheerend. Vom „Schrecken ohne Ende vor allem für Schüler und Lehrer“ und „von einer Geschichte von Murks, Mäkelei und Mammon“ war zu lesen. Kein Wunder, dass Wulff sich bei der Wahl zwischen „Pest und Cholera“ gegen Stoiber und Rüttgers entschied. Kultusminister Bernd Busemann (CDU) sagte also gestern, Niedersachsens Schüler würden ab Schuljahresbeginn nach den Regeln der Chaos-Reform schreiben – wie in allen Ländern außer NRW und Bayern. Hier wird auch die neue Rechtschreibung unterrichtet. Der Unterschied: „Alte“ Schreibweisen sollen noch nicht als Fehler gelten.

Das zeigt, dass schwarz-gelbe Dominanz in Bundesrat wie Bundestag nicht nur Einigkeit verheißt. Hannover stichelte schon oft gegen den stotternden Stoiber. Endlich konnte Wulff den Bayern nun auch mal zeigen, wo der Hammer hängt. Motto: „Mir san die Niedersachsen.“ Nur einen Brosamen schmiss er dem isolierten Stoiber hin. Kultusminister Busemann erklärte, der Rat für Rechtschreibung solle künftig über „alle fachlichen Fragen der Weiterentwicklung der deutschen Rechtschreibung“ bestimmen, um die Politik aus der Sache herauszuhalten. Ratsvorsitzender: Stoibers Ex-Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CSU). „Abenteuerlich“ findet diese Argumentation die SPD. „Wer jahrelang an der Spitze der politischen Einmischer marschiert ist“, mache sich mit einer solchen Erklärung „lächerlich“, höhnte Fraktionschef Wolfgang Jüttner. Allerdings begrüßten der SPDler wie die grüne Landesvorsitzende Brigitte Pothmer, dass Wulff endlich „seine Rolle als Dirigent im bildungspolitischen Querulantenstadl aufgegeben“ habe. Abwarten. Der Stadl könnte ab dem 18. September erst richtig beginnen.

Kai Schöneberg

siehe auch inland SEITE 2