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Majestätsbeleidigung in ThailandDrakonische Haftstrafe

Für monarchiekritische Audioclips soll eine Thailänderin mehr als 43 Jahre in Haft. Weil die 64-Jährige gestand, war die Strafe bereits halbiert worden.

Wäre nach Verbüßen der Haft 107,5 Jahre alt: Anchan P Foto: Patipat Janthong/Thai News Pix/reuters

Berlin taz | In Bangkok hat ein Strafgericht am Dienstag eine frühere Finanzbeamtin zu einer Haftstrafe von 43,5 Jahren wegen angeblicher Majestätsbeleidigung verurteilt. Anchan P. verstieß laut Gericht durch das kommentarlose Weiterverbreiten monarchiekritischer Audioclips bei Youtube in 26 Fällen und bei Facebook in dreien gegen den berüchtigten Paragrafen 112 des Strafgesetzbuches, meldeten lokale Medien.

Das Gesetz, das als das weltweit härteste für Monarchiekritik gilt, sieht Haftstrafen von 3 bis 15 Jahren pro Fall vor. Demnach hätte Anchans Gesamtstrafe mindestens 87 Jahre betragen. Doch weil die 64-Jährige ein Geständnis ablegte, wurde das Strafmaß um die Hälfte reduziert. Laut thailändischen Anwälten ist es die längste je aufgrund des umstrittenen Gesetzes verhängte Strafe. Der bisherige Rekord wegen Majestätsbeleidigung in Thailand soll bei 35 Jahren Haft gelegen haben.

„Das Gerichtsurteil von heute ist schockierend und sendet eine gruselige Botschaft, dass Kritik an der Monarchie nicht nur nicht toleriert, sondern auch schwer bestraft wird“, sagte Sunai Phasuk von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Die Behörden nutzten den Vorwurf der Majestätsbeleidigung als letztes Mittel, um die Demokratiebewegung zu unterdrücken.

Anchan war 2015 verhaftet worden, also nach dem letzten Militärputsch vom Mai 2014. Die von ihr weitergeleiteten Beiträge bezogen sich alle auf den Langzeitmonarchen Bhumibol Adulyadej, der im Gegensatz zu seinem Sohn und Nachfolger recht angesehen war. Der Urheber der Clips wurde laut Bangkok Post bereits 2015 zu fünf Jahren Haft verurteilt.

Der neue König startete nachsichtig

Nach Bhumibols Tod signalisierte der neue König Maha Vajiralongkorn, dass er keine Anklagen wegen Majestätsbeleidigung wünsche. Die kann in Thailand jeder zur Anzeige bringen. Ende 2019 kam Anchan schließlich auf Kaution frei.

Doch seit letztem Juli erlebt Thailand eine neue studentische Demokratiebewegung. Sie fordert den Rücktritt von Premierminister und Putschführer Prayuth Chan-ocha und hat mit ihrer erstmalligen und sehr mutigen Kritik am Königshaus ein Tabu gebrochen.

Kritisiert wird, dass der playboyhafte Monarch über den Gesetzen steht, mehr Zeit in Bayern als Thailand verbringt und sich einen Direktzugriff auf ein Milliardenvermögen gesichert hat, das eigentlich staatlicher Kontrolle unterstehen sollte. Zudem wird dem Königshaus übelgenommen, dass es bisher alle Putsche der Militärs abgesegnet hat.

Vorwurf der Majestätsbeleidigung als Machtinstrument

Umgekehrt missbraucht die vom Militär gestützte Regierung den Vorwurf der Majestätsbeleidigung immer wieder als Instrument, um Kri­ti­ke­r*in­nen mundtot zu machen. So fordern die studentischen Demonstrant*innen, die sich auch nicht von der Verhängung des Ausnahmezustands einschüchtern ließen, denn auch die Abschaffung des Paragrafen 112.

Der in zunehmende Bedrängnis geratene Machthaber Prayuth kündigte im November an, dass es wieder Anklagen wegen Majestätsbeleidigung geben werde. Seitdem sind schon mehrere Dutzend angebliche Fälle bei Gericht anhängig. Wie diese gilt auch Anchas Strafe als abschreckende Warnung.

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