piwik no script img

Verurteilung von Alexei NawalnyAngst vor dem Kremlkritiker

Kommentar von Barbara Oertel

Die angespannte Wirtschaftslage und das harte Vorgehen gegen den Kremlkritiker Alexei Nawalny könnten seinen Mitstreiter*innen Auftrieb geben.

Alexei Nawalny am Sonntag in Berlin vor seinem Rückflug nach Moskau Foto: Mstyslav Chernov/dpa

E rbärmlich: Das ist die Vorstellung, die seit Sonntagabend in Moskau über die Bühne geht. Der Kremlkritiker Alexei Nawalny wird im Schnellverfahren zu 30 Tagen Arrest verurteilt, seine Festnahme am Flughafen Scheremetjew folgte dem Drehbuch der föderalen Behörde für Strafvollzug (FSIN): Die Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen rückwirkend in eine dreieinhalb jährige Haftstrafe umzuwandeln – ein Vorhaben, das selbst nach russischen Gesetzen juristisch fragwürdig ist.

Auch das Vorspiel war aufschlussreich. Ein von Sicherheitskräften belagerter Flughafen Wnukowo, Dutzende Festnahmen und eine Umleitung der Maschine aus „technischen Gründen“. Das ist erstaunlich viel Aufhebens um einen angeblich politischen Niemand, den der Geheimdienst FSB, um mit Präsident Wladimir Putin zu sprechen, mühelos hätte ins Jenseits befördern können, so er willens gewesen wäre.

Die Demonstration der Stärke lässt tief blicken. Im Kreml geht offensichtlich die Angst um, aus gutem Grund. Selbst wenn Nawalny auf Jahre hinter Gittern verschwinden sollte, wäre das „Problem“ für Russlands Regierung, auch im Hinblick auf die Duma-Wahlen im September, nicht aus der Welt geschafft. Im Gegenteil: Angesichts eines wachsenden Unmuts in der Bevölkerung auch aufgrund einer angespannten Wirtschaftslage könnte das harte Vorgehen gegen Nawalny dessen Mit­strei­te­r*in­nen sogar Auftrieb geben.

Die Reaktionen vieler westlicher Poli­ti­ke­r*in­nen sind so ritualisiert wie hilflos: die Forderung nach sofortiger Freilassung sowie Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Den Vogel schießt Bundesaußenminister Heiko Maas mit seiner Äußerung ab, die Festnahme Nawalnys sei völlig unverständlich.

Die baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland haben die EU zu einer deutlichen Reaktion an die Adresse Moskaus aufgefordert. Gerade diese Stimmen sollten in Brüssel ernst genommen werden. Alles andere bedeutete einen weiteren Verlust an Glaubwürdigkeit und wäre um keinen Deut besser als das, was in Moskau geschieht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Wieso "Doppelmoral"? Die taz und auch ich sind für die Straflosigkeit beider!

    Außerdem rechtfertigt die Verfolgung von Snowden nicht die Verfolgung von Nawalny.

    Letztendlich soll der Kommentar von Mr. Nice, der NICHTS mit dem Thema hier zu tun hat, nur von diesem Thema hier ablenken!

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Wie sie alle tönen - lasst ihn frei! Klar, Russland ist der Feind.



    Aber was ist mit Julian Assange? Ein Held, der die Sauereien und Morde der Amerikaner öffentlich gemacht hat. Der schmort weiter im Knast, in einem englischen Knast.



    Dafür gibt es keinen Grund.

    Widerlich diese Doppelmoral und Feigheit!



    Gleiches gilt für Edward Snowden.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Doppelmoral.Mal schauen ob Sie das gleiche sagen würden wenn Sie in einem dreckigen stinkenden russischen,syrischen,iranischem oder türkischenm Gefängnis Jahrzehnte Ihres Lebens verbringen müssten.Unsere westliche Welt auch nur Ansatzweise mit Diktaturen Regime zu vergleichen ist für mich unerhört und entbehrt jeglicher objektiven Grundlage.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @17900 (Profil gelöscht):

      Ich bin dafür das beide frei kommen und jetzt? Ich lehne es ab wenn Russland in der Ukraine einmarschiert oder die CIA in Südamerika putscht. Ich wünsche mir eine euorpäische Außen und Verteidigungspolitik die den Namen verdient die Menschenrechte durchsetzt und Tyrannen das Leben schwer macht, unabhängig von den Amerikanern. Aber das will niemand hier zu teuer, zu anstrengend, zu unbequem. Weil dann müssten die Deutschen endlich Verantwortung übernehmen anstatt von der Seitenlinie zu meckern.