Schönes Gesicht im kalten Fluss

Britta Kamrau aus Rostock ist das attraktive Aushängeschild der deutschen Langstreckenschwimmerei. Bei der Weltmeisterschaft in Montreal will sie heute und am Freitag ihre Titel über 10 und 20 Kilometer verteidigen

AUS MONTREAL JÜRGEN ROOS

Es gibt kaum Fragen, mit denen man Britta Kamrau aus der Ruhe bringen kann. Haie, Piranhas, Feuerquallen? Die 26-Jährige winkt ab. „Nö“, sagt sie, „davor habe ich keine Angst.“ Die Frau ist professionelle Langstreckenschwimmerin und darf sich deshalb schon ein bisschen von einer ganz normalen Badeurlauberin unterscheiden. Eine Angst hat Frau Kamrau aber doch mit Frau Müllermeierschmidt gemeinsam: die Angst vor kaltem Wasser.

Dummerweise findet das Langstreckenschwimmen fast ausschließlich im offenen Wasser statt – in Kanälen, Flüssen, im Meer. Der Kälterekord von Britta Kamrau liegt bei 14,2 Grad. Geschwommen in der Themse in London, in einem stillgelegten Hafenbecken. Sie hat durchgehalten damals. Sich erst mal 30 Minuten bei 108 Grad in der Sauna aufgewärmt und „danach immer noch gefroren“. Erst zweimal in ihrer Laufbahn hat Britta Kamrau ein Rennen aufgegeben, sich aus dem Wasser geschleppt, eine ziemlich unterkühlte Körpertemperatur von knapp 30 Grad festgestellt. Langstreckenschwimmen kann bisweilen eine eiskalte Angelegenheit sein.

Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Montreal ist es Britta Kamrau beim Sprung ins Wasser warm ums Herz geworden. 27,3 Grad wurden vergangenen Sonntag beim 5-Kilometer-Rennen gemessen, im Ruderregattabecken der Olympischen Spiele von 1976. Britta Kamrau konnte sich warm schwimmen für die 10 und die 25 Kilometer, die heute und am Freitag auf dem WM-Programm stehen – die Rostockerin ist auf beiden Strecken Titelverteidigerin. Allerdings zeigte sich bei ihrem sechsten Platz über fünf Kilometer, dass nicht nur die Kälte ein unangenehmer Gegner ist. Die Mitschwimmerinnen sind fast ebenso gefährlich. „Sie packen dich am Knöchel, ziehen am Badeanzug, drücken deine Schulter runter“, sagt Britta Kamrau, die es allerdings auch nicht mag, wenn gleich von einem Zickenkrieg unter Wasser geredet wird. Abhaken, das nächste Rennen kommt bestimmt. Und leicht angefressen gilt Kamrau als besonders bissige Titelkandidatin.

In Montreal ist die angehende Juristin, die Anfang nächsten Jahres das erste Staatsexamen in Angriff nimmt, nicht nur mit der Wassertemperatur zufrieden. „So wie hier müsste es immer sein“, sagt Kamrau, die sich häufig öffentlich über die Präsentation ihrer Sportart ärgert. Gut einsehbare Strecke, Großleinwand, vorbereitete Interviews. Da fühlt sich die 26-Jährige an die großen Rennen in Argentinien erinnert, die live im Fernsehen übertragen werden. In der Heimat ihres zukünftigen Ehemanns Augusto Corestein hat Britta Kamrau in diesem Jahr das 88-Kilometer-Rennen auf dem Río Paraná und im letzten Jahr die 57 Kilometer von Santa Fe gewonnen. Corestein ist es auch, der die Schwimmerin vom Begleitboot aus betreut, ihr Becher mit Energiedrinks reicht – und sie psychisch aufbaut, wenn es nötig ist.

So gut übrigens, dass es dem deutschen Langstreckentrainer Christian Bartsch manchmal reicht, die Rennen via Handy von zu Hause aus zu verfolgen. Was zu spannenden Dialogen führt: Als Britta Kamrau neulich bei den 36 Kilometern von Capri nach Neapel aufgeben wollte, rief ihr Lebensgefährte beim Coach an, sagte: „Sie will nicht weiterschwimmen.“ Worauf Bartsch antwortete: „Sie muss aber!“ Britta Kamrau wechselte dann kurz den scheuernden Schwimmanzug, gab Gas und gewann den Weltcupwettbewerb noch.

Seit dem Rücktritt von Peggy Büchse ist Britta Kamrau das Gesicht des Langstreckenschwimmens in Deutschland, sportlich hat sie die prominente Vorgängerin mit je drei WM- und EM-Titeln bereits sogar überholt. Großer Profit lässt sich daraus nicht schlagen. Auch nicht aus der Tatsache, dass sie das schöne Gesicht dieser Sportart ist. „Solange in der Zeitung steht, die hübsche Blondine, die ordentlich schwimmt, ist mir das egal“, sagt Britta Kamrau.