Krawall für den Kaffeetisch

Keine Analyse, sondern Fantum, angemessen wimmelig gestaltet: Das Buch „Hamburg Calling“ widmet sich Punk und Folgendem in der Stadt

Wohnzimmer der Bewegung: Im Plattenladen „Rip Off“ umlagern Punks Betreiber Klaus Maeck (2.v.r.) Foto: Sabine Schwabroh

Von Alexander Diehl

Ausgerechnet Seite 13: Neben einem Foto – „Punk is dead“ drauf, als Klowand-Graffito – findet sich dort ein schöner, harmloser Druckfehler: „Zu Beginn des Jahres 1883“ habe „Kummer runtergespült werden“ müssen; nicht darüber, dass der Punk hinüber war, aber übers frische Ende des zuletzt in Hamburg herausgegebenen Musikmagazins Sounds.

Es geht da natürlich um 1983, denn dass der Punk „um 1977 in Großbritannien“ entstanden sei, nicht 100 Jahre vorher: Das stand zwischenzeitlich sogar im Lexikon. Mit Großbritannien wiederum verband die Hafenstadt neben ihrer Lage in entsprechender Besatzungszone lange auch eine regelmäßige Fährverbindung nach London – die nutzte damals auch Alf Burchardt, später Journalist bei Szene Hamburg und Stern.

Jetzt hat er – zusammen mit Bernd Jonkmanns – ein Buch herausgebracht über den Zusammenhang von Hansestadt und hartem Drei-Akkorde-Lebensstil; keine Analyse oder Kritik, sondern durchaus kaffeetischtaugliches, dem Thema angemessen wimmelig gestaltetes Fantum. Apropos: Zur Finanzierung setzte man auf Crowdfunding, mit Erfolg – ob das heißt, dass ausreichend viele ehemals Sicherheitsnadeln Zweckentfremdende heute saturiert genug sind fürs Deluxe-Dankeschön-Paket (inklusive Abzug auf Hahnemühle-Fine-Art-Papier)?

Dass sie sich in Hamburg ein bisschen was einbilden dürfen auf ihren Punk – sicher. Ob’s gleich die Stadt ist, „in welcher seit 30 Jahren der beste Rock’n’Roll auf dem Kontinent stattfindet“, wie es vor auch schon wieder 30 Jahren die längst vergriffene, verdienstvolle Punk-Compilation „Paranoia in der Straßenbahn“ in den Linernotes behauptete? Wie sich im Buch nun Tote-Hosen-Sänger Campino erinnert: Eine wichtige Stadt für Konzerte, ein wichtiger Sehnsuchtsort auch für jene, die damals mit ihren Heimattälern – oder -stränden – fremdelten, war sie definitiv, die Stadt, die einst schon die Beatles zuerst beherbergt hatte.

Neben allerlei (gern persönlich gefärbter) Geschichte und Interviews mit vielen Veteran:innen lebt das Buch von schmucken Fotos, viele davon gemacht von Sabine Schwabroh, einst Grafikerin bei der dann zu betrauernden Sounds. Das zählte ja überhaupt, neben der sehr hamburgspezifischen Frontlinie „Straße“ vs. „Studenten“, zu den Ungleichzeitigkeiten des Punk: wie viele Frauen aktiv waren in der gerne so männlich-verschwitzten Szene.

Alf Burchardt, Bernd Jonkmanns: Hamburg Calling. Punk, Underground & Avantgarde 1977–1985. Junius Verlag 2020, 144 S., 150 Abb., 29,90 Euro