: Friedenssicherndes Frittiergebäck
Die Spur des Berliners lässt sich bis ins antike Ägypten zurückverfolgen. Ausschließlich süß wurde er erst im barocken Wien. Eine Kulturgeschichte des in Öl Gebackenen, der die Welt eroberte, nebst notwendigem Rezept zur Eigenproduktion
Von Carola Rönneburg
Es gibt keine Berliner in Berlin. So, wie Nordlichter in München morgens kein Brötchen in einer alteingesessenen Bäckerei von einer auf Krawall gebürsteten Verkäuferin erhalten – „das heißt hier Semmeln!“ –, müssen Zugezogene in Berlin am Kuchentresen nach Pfannkuchen fragen, wenn sie einen Berliner haben wollen. In Frankfurt wiederum heißt der Pfannkuchen Kreppel, ausgesprochen „Krebbel“, und in der Semmelstadt ist der Kreppel ein Krapfen.
Der gesamte Wirrwarr liegt an der Geschichte des gemeinen Krapfens und seiner Zubereitungsart. Fußend auf dem althochdeutschen „Krapho“, steht der Begriff „Krapfen“ für Haken oder Krümmling und war ursprünglich alles, was in einem Teigmantel in Fett ausgebacken wurde: Obst, Gemüse und Fleisch. Die Frittiertechnik findet sich bereits bei den Ägyptern, Griechen und Römern, wobei unklar ist, was genau im heißen Öl landete und ob nur Teig oder gefüllter Teig garte.
Auch, ob immer und überall explizit Hefeteig verwandt wurde, dürfte ebenfalls fraglich sein. Kulturtechniken gingen über die Jahrtausende immer mal wieder verloren und mussten wiederentdeckt werden. Spätmittelalterliche Rezepte zeigen, dass der gutgestellte Mensch Mehl mit Eigelb und Wein oder Wasser vermischt, aber keinen Hefeteig ansetzt. Durch das Gemisch zieht er Schweinefleisch mit Ei oder, bei Hofe, Rindermark und backt seine Krapfen in Schweineschmalz oder Öl aus.
Fast ausschließlich süß wird der Krapfen erst spät. Zwar gibt es längst Anleitungen, Krapfen mit gesüßtem Obst oder Marmelade zu füllen, die Abkehr vom salzigen, fleischhaltigen Gebäck ist aber erst der weiterentwickelte Krapfen auf Hefeteigbasis, mit Weißmehl, Zucker und viel Eigelb. Das geschieht unter anderem im österreichischen Wien ab 1750, einer Krapfenkapitale. Schmalzgebackenes ist hier schon seit einer Weile der Renner, die Krapfen erinnern auch nicht mehr an Haken oder sonstige Gebilde, sondern werden kugelförmig angeboten.
Bekannt werden sie als „Faschingskrapfen“, denn noch dreht sich die Welt um Religion und ihre Vorschriften: Mit Beginn der Fastenzeit gilt es, auf Fleisch, Eier und Milchprodukte zu verzichten, in manchen Regionen auch auf mehr, etwa Zucker.
Es soll deshalb zum massenhaften Faschingskrapfenverzehr gekommen sein, weil vor dem Beginn der Fastenzeit mit ihren strengen Lebensmittelgeboten noch flink Vorräte verbraucht werden mussten. Das würde aber bedeuten, dass sich das haushaltsplanerische Wissen noch im Entwicklungsstadium befand. Wer hortet schließlich Eier, wenn er weiß, dass er sie schon bald nicht mehr verwenden darf? Wahrscheinlicher ist, dass die Fastenzeit ein willkommener Anlass war, es sich in den Tagen davor noch einmal richtig gutgehen zu lassen – mit gut gefüllter Speisekammer oder an den entsprechenden Stellen im Straßenverkauf und selbstverständlich nur von privilegierten Schichten.
Den Höhepunkt des Krapfenverzehrs bildete das Jahr 1815 in Wien, als der Wiener Kongress nach den Koalitionskriegen seit neun Monaten über die Neuordnung Europas verhandelte. Neben den Einheimischen, damals etwas über 230.000 Bewohner*innen, bevölkerten Vertreter*innen aus 200 beteiligten Kreisen samt Entourage die Stadt: zehn Millionen verkaufte Krapfen sorgten indirekt für den Frieden.
Krapfen wurden damals nicht in Backstuben hergestellt, sondern direkt an der Straße verkauft. So auch übrigens in Berlin, das nun schnell wuchs und in dem ebenfalls der Krapfenstraßenhandel eine große Rolle spielte. Nur nahmen die Berliner*innen die Krapfen nicht als Krapfen wahr: Das Gebäck wurde allerorts in Pfannen ausgebacken, also war für sie logisch: das waren Kuchen aus Pfannen, folglich: Pfannkuchen.
Nicht aus Wien, sondern aus Berlin heraus bahnte sich der süße Krapfen seinen Weg in die Welt: Der Berliner Pfannkuchen ist heute weitverbreitet. „Bolas de Berlim“ heißt er beispielsweise in Portugal, „Berlín“ in Chile. Allerdings variiert der Kern von Land zu Land: Südeuropäer zum Beispiel bevorzugen eine Vanillecreme statt der klassischen fruchtigen Füllung. Außerdem ist der Berliner nun ein Alltagsgebäck von so schwankender bis miserabler Qualität, dass es sich lohnt, zu handeln. Krapfen Sie selbst!
Und wie machen wir nun unsere Pfannkuchenkrapfenkreppel selbst? Ganz einfach so: Wir holen ein Butterstückchen von etwa 50 Gramm aus dem Kühlschrank und lassen es weich werden. Dann rühren wir einen Vorteig aus 0,2 Litern leicht erwärmter Milch, einem zerbröselten Hefewürfel und 100 Gramm Mehl in einem Topf an. Den stellen wir mit einem Deckel 20 Minuten an einen warmen Ort. Derweil füllen wir einen Spritzbeutel mit einfacher Tülle oder eine Küchenspritze mit 250 Gramm Marmelade – klassisch ist Himbeermarmelade. Wir kratzen das Mark aus einer Vanilleschote, und wenn uns die zu teuer ist, verzichten wir auf sie und nehmen auf keinen Fall Vanillin. Wir rühren zwei Eier und zwei Eigelb richtig gut auf, also schaumig, und geben die Butter dazu, dann das Vanillemark. Das alles vermengen wir mit dem Vorteig und 400 Gramm Mehl, formen den Teig und lassen ihn in einer abgedeckten Schüssel eine Stunde lang gehen, also verdoppeln. Danach kneten wir ihn gut durch, formen eine Rolle und teilen ihn in 14 Stückchen. Aus jedem Stückchen formen wir eine Kugel, die unter einem Tuch noch einmal gehen darf. Auch die Kugel soll sich verdoppeln. Wir erhitzen Sonnenblumen- oder Erdnussöl auf 170 Grad. Wer alles zum ersten Mal macht, leiht sich ein Thermometer von den Nachbarn oder ist mutig genug, auf einen Kochlöffelstiel zu setzen: Ab 170 Grad bilden sich aufsteigende Bläschen um das Holz. Allerdings sollte das Öl nicht heißer werden, sonst bräunen die Krapfen zu schnell.
Die Krapfenkugeln benötigen etwa eine Minute von jeder Seite. Danach auf Küchenkrepp abtropfen lassen, aus einem Spritzbeutel oder einer Küchenspritze mit Marmelade füllen und mit Puderzucker bestäuben.
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