berliner szenen: Diese Grille ist ein Geschenk
Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner zirpt, dass nach den Feiertagen Tiere einfach ausgesetzt würden. Tiere seien keine Weihnachtsgeschenke, appelliert auch Peta, also die People for the Ethical Treatment of Animals. D’accord. Trotzdem hab ich es getan. Es war eine Grille. Empfänger war mein Kumpel Gary, ein mexikophiler Ire. Corona hat ihm nicht nur die Reise nach Oaxaca verhagelt. Auch die Trost-Biere nach Feierabend in der Turandot-Bar. Nun lebt er zusammen mit meiner Grille. Die säge so laut, simst er, dass ihm die Sehnsucht nach Mexiko fast vergehe, nachts, wenn er von Oaxaca träume. Auf verschlungenem Pfad gelangte die Grille zu Gary.
Als hätt’ ich’s geahnt, dachte ich schon vor Corona an ein Hobby und belegte einen Wabi-Kusa-Workshop. Mit einem Dutzend Frauen stand ich vor meinem Bonsaimeister an einem Buffet aus Pflänzchen, Moos und Steinchen, die ich nun in ein Kugelglas zu bauen lernte.
Vor Weihnachten stellte ich meine Glasgärten im Pop-up-Store der Bio Company an den Yorckbrücken aus. Zur Vernissage warf mein Künstlerfreund Erwin eine Handvoll Steppengrillen in die Glasgärten. Und los ging das Gezirpe! Unüberhörbar für die Hygiene-Abteilung der Bio Company. Biblische Plage, Heuschreckendebatte.
Der Anruf kam vor Mitternacht: Entfernen Sie bitte die Grashüpfer! Am nächsten Morgen begann die Jagd. Mit Holzpinzetten fischten wir die flinken Gesellen vorsichtig aus den Gläsern. Insektenfreund Erwin setzte sie im Gleisdreieck Park aus. Bis auf die letzte Steppengrille. Die schenkte ich Gary, versteckt im Glasgarten.
„Fang dir bloß keine Grillen ein“, sagte meine Mutter früher, wenn die Stimmung schwankte. Vom Freund, der nie viel Worte macht, kam die euphorische Nachricht: „Haferflocken machen ihn ganz wild.“ Guido Schirmeyer
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